Zur Lage der Nation

Bemerkungen zur Sprache, Literatur, Kultur, Politik und

zu den Medien in Deutschland

 Herausgegeben von Helmut Arntzen

 

Nummer 3 (November/Dezember 2002)

 

 

 

Inhalt: Nach der Wahl - Aus "Mahagonny" von Brecht - Ernste Worte - Aus "Mahagonny" von Brecht - Die alte Großmutter und der theologische Enkel Germanistik und die Lage - Aus "Mahagonny" von Brecht - VON DEN MEDIEN "Metapher als Titel" von Karl Kraus - Alles klar - Apposition mit als - Nachdenklichkeiten -Ein Mediensprachgeschädigter - Journalistische Distanzlosigkeit - Journalistisches Mittelalter - Richtigstellung - Wenn Journalisten nicht fragen, sondern von ihrem Fragen reden - Schlaraffenlandjournalismus - Medientreffen - Was für uns vorgesehen ist. - VON DER POLITIK: Was die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer in einer als "fulminant" bezeichneten Rede unter anderem gesagt hat - Wandel durch Annäherung - Ins Grüne - VON DER BILDUNG: Die Gebildeten unter den Verächtern der Bildung - Eine Zuschrift - VOM (EINSTIGEN) LEBEN: 1944 - Sprache im "Spiegel".

Nach der Wahl

Nichts ist gemacht außer alles kaputt. Sean O'Casey

Liest man in Kempowskis "Echolot" oder in einer älteren Sammlung persönlicher Texte aus dem zweiten Weltkrieg wie etwa der "Stimme des Menschen"(1961), so drängen sich zwei Eindrücke besonders auf: Diese Jahre waren die letzten, in denen man eindeutig wußte (oder verfehlte), was zu geschehen hatte, und sie waren gleichzeitig die, die eine, zwei Generationen vollständig überforderten, traumatisch belasteten: vom Baby bis zu den Alternden. Daraus hätte etwas Außerordentliches werden können. In Deutschland wurde daraus das "Wirtschaftswunder". Alle noch vorhandenen Energien wurden dadurch an- und aufgesogen. Erhard mit der Zigarre, die DM, Made in Germany, die Autos, das Hin- und Herfahren in der touristischen Gegend, die Schlachten an den kalten Buffets, die dicken Geschäfte, das dröhnende Gelächter der schnell reichgewordenen Kerle, SPD und Gewerkschaftsfunktionäre, darüber die Soße aus Abendland, Freiheit, Humanität, Idealen und was man sonst für die Festreden brauchte.
Ansonsten die Austrocknung. Am Anfang zwar noch Thomas Mann; Benn, Brecht, die Lektüre von Proust, Joyce, Musil, Kafka in kleineren Kreisen, aber danach kamen Böll und Grass als die höchsten der deutschen literarischen Möglichkeiten, die Musik wurde schnell zum Decorativum unter Karajan, die bildende Kunst zum Handelsobjekt, zu dem auch Scharlatanerien werden konnten. Die kulturelle Diskussion in den Feuilletons bestand aus dem unseligen Ironiegeplauder. Am Ende galt Reich-Ranicki als die Erfüllung des kritischen Gedankens. Der stellt nun eine Liste aus privaten Vorlieben als Kanon der Literatur zusammen, nachdem er dafür gesorgt hat, daß nur noch die plattesten Versionen des sogenannten Realismus als lesenswert gelten.
Die deutsche Sprache gibt es nicht mehr. Ein Gekauder aus verludertem Alltag, Anglizismen, die nur oberflächlich etwas mit dem Englischen zu tun haben, und betriebswirtschaftlichem Rotwelsch wird für den Austausch benutzt, nur einige Ausländer sind noch in der Lage, einen Gedanken deutsch zu fassen. Dafür mangelt es den journalistischen Sprachbenutzern inzwischen gar an grammatischen Grundkenntnissen, ‚scheinbar' und ‚anscheinend' können sie nicht mehr unterscheiden,: mit den Präpositionen wissen sie nicht umzugehen, die Casus machen ihnen Beschwer, aber flink lallt ihnen wie immer die Zunge.

*

So ist klar, daß wir die dazugehörige Politik haben: Der Chef des Betriebs stellt sich jeder Gruppenaufnahme und macht Politik nach den jeweiligen Tagesbedürfnissen. Er kann so, aber auch ganz anders und probiert als ausgemachter Dilettant alles aus: mal ist er für die Reichen, mal für die Armen, mal für Europa, mal für Deutschland, mal für und mal gegen Amerika, mal entdeckt er die Cousinen und mal die Schriftsteller. Wenn er irgendein politisches Tagesgeklüngel abgeschlossen hat, geht er damit in den Dom oder die Nationalgalerie, denn er ist von sicherstem Geschmack, den er als Porzellanverkäufer von der Pike auf gelernt hat. Nun hat er noch mal gesiegt, obwohl er nichts auch nur einigermaßen Komplettes in vier Jahren fertiggebracht hat. Und er hat nur gesiegt, weil er der nette Gerd ist, der Mann, der sich auf den Damm stellt und ein entschlossenes Gesicht macht, und weil er für den Antiamerkanismus der Deutschen (der natürlich die verkappte Bewunderung für Macht und Größe ist) etwas getan hat. Das war zwar taktisch saudämlich, aber unser Gerd ist so ein geradliniger Mann, der immer sagt, was er gerade mal so als Macher denkt.
Ihm zur Seite der pragmatische Hoch- und Tiefdenker mit dem Taxischein: geboren fürs Auswärtige, dazu beliebt wie kein anderer. Denn wer gibt sonst noch der Volksmehrheit das Gefühl: so bin ich auch gewesen und das könnte ich auch werden. Im Handbuch des Bundestages hat er seinerzeit als Beruf angegeben, er sei Staatsminister (hessischer) a.D., denn er konnte ja schlecht schreiben: Streetfighter a.D., Herumbummler, Taxifahrer.
Er macht die berühmte deutsche Außenpolitik, indem er wie Genscher überall hinreist und abwägt und für alle Wohlwollen hat und ein gutes, aber auch ein nachdenkliches Wort und indem er eine Weste trägt, weil er ja nun kein Streetfighter mehr ist, sondern ein richtiger Außenminister. Und dann ist da noch der Superminister, der immer nervös und ungehalten, dafür aber ein Fachmann von hohen Graden ist, was er in Nordrhein-Westfalen nicht so ausleben konnte. Als Fachmann von hohen Graden gilt er, weil er als Journalist Wirtschaftskolumnen geschrieben hat. Auch er gibt sich als Macher, weil er immer unwirsch ankündigt, nun werde etwas gemacht werden, was dann allerdings immer daneben geht. In der Regierung haben wir außerdem noch Menschen, die Ulla heißen und Renate, manchmal auch Bulmahn und Wieczorek-Zeul: Leider nicht mehr Herta Däubler-Gmelin, die alles nicht nur besser, sondern am besten wußte und dann etwas gesagt hat, was sie gar nicht gesagt hat, obwohl es andere gehört haben. So wie zuletzt hat sie sich übrigens immer geäußert: wirr, aber logisch, denn sie gilt in ihrer Partei als intellektuell. Leider verlieren wir auch einen Mann namens Kurt Bodewig, der sich als Minister besonders fein anzog, nicht als intellektuell galt und die allergrößte Mühe hatte, im Bundestag eine aufgesetzte Rede fehlerfrei vorzulesen; er placierte dann noch grammatische Fehler im nachhinein. So haben wir, nachdem alles bei uns mittelmäßig geworden ist, am Ende auch die entsprechende Wirtschaft und, nachdem man sogar verlernt hat, was man als einziges gelernt hatte: nämlich dick zu verdienen, die dazu passende Regierung.

*

Und dazu wieder das passende Volk. Denn das möchte verreisen, Feste feiern, Spaß haben und sonst eigentlich nicht viel. Dafür käme es mit dieser Regierung sicher aus.
Das Üble ist nur, daß es dem Volk nicht gegönnt ist. Zwar kann es noch dank seiner Regierung verhindern, sich mit dem Irak kriegerisch beschäftigen zu müssen. Es weiß natürlich, daß der Mann dort unsympathisch ist, aber unsympathischer ist ihm Scharon, zumal das nichts kostet.
Aber es muß zu seinem Leidwesen sehen, daß sein Streben nach Frieden, also nach Reisen, Festen und Spaß, gestört wird durch Dinge wie den 11. September. Zwar sind da schon Verschwörungstheoretiker tätig, unter ihnen ein ehemaliger Bundesminister, die wissen, daß alles ganz anders war, es mit den Arabern und dem Islam gar nichts, sondern mit dem CIA und dem Mossad zu tun hatte. Werden eigene Leute ermordet wie in Djerba, kann man weggucken.. Die Sache mit dem Tanker an der Küste des Jemen ist unwichtig, die mit den Amerikanern in Kuweit haben die sich selbst zuzuschreiben. Und Bali ist natürlich nicht so schön, aber man muß sich nur sagen, daß soetwas heute überall passieren kann . Und wenn es ein günstiges Bali-Angebot gibt, darf man schon im Interesse des Reisens, Feierns und Spaßhabens nicht einfach ‚nein' sagen. Zuletzt, es geschieht ja nun fast jeden Tag etwas, noch die Geiselnahme in Moskau mit gelungener Befreiung der Geiseln durch Giftgas. Da muß man wohl künftig, statt nach Moskau nach Mexiko oder so fahren. Dennoch kommt immer wieder leider ein Unbehagen hoch.
Auch gibt es ja diese Sachen, die der Westen selbst produziert: In Erfurt der Schüler aus guter Familie, der in seiner Schule einen Massenmord begeht. Unangenehm. In Helsinki, wo eigentlich gar nichts Arges vorkommt, ein Student, der einen Massenmord begeht. Gar nicht schön. In Washington ein Scharfschütze, der in kurzer Zeit zehn Menschen umbringt und es mit drei weiteren versucht hat. Typisch für Amerika. In Frankfurt ein freundlicher Jurastudent, der aus Geldgier einen ihm bekannten Jungen erwürgt. Scheußlich, aber ein Einzelfall. In Turin ein Mann, der seine ganze Familie umbringt. Was soll man sagen. Das sind alles Dinge, die man nicht billigen kann, aber schlimm ist vor allem, daß man dadurch, wenigstens vorübergehend, in seinem friedlichen Leben gestört wird, obwohl man klipp und klar hat erklären lassen, daß man mit Saddam Hussein keinen Krieg will.
Das Volk findet das alles ziemlich unpassend und möchte nun wirklich nicht weiter gestört werden. Es erwartet vom Macher Schröder und vom Außenpolitiker Fischer, daß sie diese Dinge in Ordnung bringen. Sollte das nicht gelingen, wird es enttäuscht sein. Aber vielleicht gibt es wieder eine Flut, wo der Macher Schröder entschieden gucken, und eine Kriegsgefahr, wo der Außenpolitiker Fischer reisen kann. Beide können dann erklären: : Ohne uns!.

PAUL
Wozu Türme bauen wie der Himalaja
Wenn man sie nicht umwerfen kann
Damit es ein Gelächter gibt?
Was eben ist, das muß krumm werden
Und was hoch ragt, das muß in den Staub.
Wir brauchen keinen Hurrikan
Wir brauchen keinen Taifun
Denn was er an Schrecken tun kann
Das können wir selber tun.
...
...
Wenn es etwas gibt
Was du haben kannst für Geld
Dann nimm dir das Geld.
Wenn einer vorübergeht und hat Geld
Schlag ihn auf den Kopf und nimm dir sein Geld:
Du darfst es!(11)

CHOR
Erstens, vergeßt nicht, kommt das Fressen
Zweitens kommt der Liebesakt
Drittens das Boxen nicht vergessen
Viertens Saufen, laut Kontrakt.
Vor allem aber achtet scharf
Daß man hier alles dürfen darf. (13)

...

JAKOB DER VIELFRASS
Jetzt hab ich gegessen zwei Kälber
Und jetzt esse ich noch ein Kalb
Alles ist nur halb
Ich äße mich gerne selber.
PAUL UND JAKOB
Bruder, ist das für dich Glück?
Bruder, tue nur nichts halb.
EINIGE MÄNNER
Herr Schmidt! Sie sind schon dick:
Essen Sie noch ein Kalb.
JAKOB DER VIELFRASS
Brüder, bitt ich, seht mir zu
Seht mir zu, wie ich eß.
Ist es weg, dann hab ich Ruh
Weil ich es vergeß.
Brüder, gebt mir noch...
Er fällt tot um."(13) (Brecht, Mahagonny)

Ernste Worte

Wir werden
Kräfte des Wachstums und der Erneuerung
Erstklassige Bildung und Ausbildung
Wir werden
Rechtsstaatliche Demokratie stärken
Versäumnisse früherer Jahrzehnte
Wir schaffen
Wichtige und richtige Impulse aus einem Guß
Wir wollen
Keine Frage
Wir werden stärken
Effizient, stark
Wir setzen durch
Glückhafter Wandel
Gerechtere Verteilung
Universelle Werte
Tiefempfundene Dankbarkeit
Im Geiste freundschaftlicher Zusammenarbeit
Wir werden
Teilhaber aller Menschen
Echte Wertegemeinschaft
Transparenz und Bürgernähe
Wir wollen
Historische Weichenstellungen
Kulturelle Errungenschaft
Die Aufgabe ist klar
Wir werden
Neue Chancen, neue Gerechtigkeit
Keine Frage
Wir wollen
(Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herr Gerhard Schröder, am 29.10.2002 vor dem Deutschen Bundestag)

"Dann setzen die Demonstrationszüge ein, die durcheinander und gegeneinander ziehen und bis zum Schluß andauern. ...Die Inschriften der Tafeln des ersten Zuges heißen:

FÜR DIE TEUERUNG
FÜR DEN KAMPF ALLER GEGEN ALLE
FÜR DEN CHAOTISCHEN ZUSTAND UNSERER STÄDTE
FÜR DEN FORTBESTAND DES GOLDENEN ZEITALTERS

...
Die Inschriften der Tafeln des zweiten Zuges heißen:
FÜR DAS EIGENTUM
FÜR DIE ENTEIGNUNG DER ANDEREN
FÜR DIE GERECHTE VERTEILUNG DER ÜBERIRDISCHEN GÜTER
FÜR DIE UNGERECHTE VERTEILUNG DER IRDISCHEBN GÜTER
FÜR DIE LIEBE
FÜR DIE KÄUFLICHKEIT DER LIEBE
FÜR DIE NATÜRLICHE UNORDNUNG DER DINGE
FÜR DEN FORTBESTAND DES GOLDENEN ZEITALTERS

...
Die Inschriften der Tafeln des dritten Zuges heißen:
FÜR DIE FREIHEIT DER REICHEN LEUTE
FÜR DIE TAPFERKEIT GEGEN DIE WEHRLOSEN
FÜR DIE EHRE DER MÖRDER
FÜR DIE GRÖSSE DES SCHMUTZES
FÜR DIE UNSTERBLICHKEIT DER GEMEINHEIT
FÜR DEN FORTBESTAND DES GOLDENEN ZEITALTERS

...
Fünfter Zug mit der Leiche Paul Ackermanns. Dicht dahinter eine Tafel mit der Inschrift:
FÜR DIE JUSTIZ

FÜNFTER ZUG
Können ihm Essig holen
Können sein Gesicht abreiben
Können die Beißzange holen
Können ihm die Zunge herausziehen
Können einem toten Mann nicht helfen.

Sechster Zug mit einer kleinen Tafel:
FÜR DIE DUMMHEIT

SECHSTER ZUG
Können ihm zureden
Können ihn anbrüllen
Können ihn liegenlassen
Können ihn mitnehmen
Können einem toten Mann keine Vorschriften machen
Können ihm Geld in die Hand drücken
Können ihm ein Loch graben
Können ihn hineinstopfen
Können ihm die Schaufel hinaufhaun
Können einem toten Mann nicht helfen.

Siebenter Zug mit einer Riesentafel:
FÜR DEN FORTBESTAND DES GOLDENEN ZEITALTERS

SIEBENTER ZUG
Können wohl von seinen großen Zeiten reden
Können seine große Zeit vergessen
Können einem toten Mann nicht helfen.

Endlose Züge in ständiger Bewegung.
ALLE ZÜGE
Können uns und euch und niemand helfen."(20)
(Brecht, Mahagonny)

Die alte Großmutter und der theologische Enkel

Am Sonntagmorgen gibt es im Deutschlandfunk Religiöses. Nicht nur die dank von Traditionen der Nachkriegszeit immer noch gängigen Übertragungen von Gottesdiensten, sondern die Verlesung von Texten, die die sogenannten Rundfunkbeauftragten der großen Konfessionen auswählen. Das ist theologisch oft jener dünne Aufguß aus Dritte-Welt- oder Sozialthemen, die Selbstverständlichkeiten immer noch einmal durchwalken, oder es ist Gemüthaftes, das jedermann erfreut.
Eines Tages hat man einen alten Pastor aus dem Osten engagiert, der zunächst einmal erklärt, warum er nicht über seine Frau spreche - das sei nicht möglich, auch wenn er über die Sprachkraft Goethes oder der Frau Pilcher verfüge - , sondern über seine Großmutter.
Es folgen freundliche Erinnerungen an die lang Verstorbene, seinerzeit in Annaberg Ansässige. Was erzählt wird, war sicher für den Enkel erfreulich, erhebt sich aber nicht über das Alltägliche. Die Großmutter hat den Kindern Brote geschmiert, sie hat sich , vor der Tür stehend, nach dem Befinden der Vorübergehenden erkundigt, sie ist gern in Liebesfilme gegangen, fand es aber anstößig, daß die Liebenden sich küßten, sie ging regelmäßig in die Bibelstunde des Superintendenten, was ihr in der Familie Moquerie eintrug . Nun gut, das alles ist so nett und beiläufig, wie es in tausenden Familien vorgekommen sein wird, noch vorkommen mag. Aber doch eben Privatgeschichte und nur als solche für die Miterlebenden bedeutsam.
Doch regt sich in dem alten Prediger nun das Bedürfnis nach Allgemeinheit, das er ja aus seinen lebenslangen homiletischen Bemühungen kennt. So stellt er das Leben der Großmutter unter das bedeutende Dictum: "Liebe und Vergebung." Und er postuliert in einem Atemzug, wer beides nicht habe, lebe gar nicht, ja er könne noch so berühmt sein, ohne beides ließe sich nichts ausrichten. Ob das nun stimmt oder nicht, auffallend ist der eigentümlich autoritative Ton und gleichzeitig, daß das Erzählte mit Liebe wenig, mit Vergebung gar nichts zu tun hat. Aber das Interessanteste dieses auf den ersten Blick ganz unauffälligen Vortrags ist, daß der Enkel an einer Stelle sagt: bedauerlicherweise habe die Großmutter Hitler für einen guten Mann gehalten. Er macht sich ganz kurz wenige Gedanken darüber, wie es dazu gekommen sein könnte. Doch sind die konventionellster Art. Dann aber ist er rasch wieder bei den Alltagserzählungen und bei "Liebe und Vergebung". Mit dem Hitler-Hinweis wird aber eine entscheidende Spur gelegt nicht nur für dieses Leben , sondern für eine ganze Generation, und damit verliert vor allem jenes bescheiden-pompös vorgetragene Postulat von "Liebe und Vergebung" ein Gewicht, das es doch haben soll, und zwar nicht, weil die Großmutter dadurch als gute Frau im Alltag unglaubwürdig würde, sondern weil beides in ihrem Leben nebeneinander stand und weil noch der Enkel nichts von diesem beklemmenden Nebeneinander merkt: dem Nebeneinander im Bewußtsein einer alten Frau, die doch für "Liebe und Vergebung" stehen soll und gleichzeitig Hitler für einen guten Mann hielt

Germanistik und die Lage
Vorbemerkung zur letzten Vorlesung im Wintersemester 1995/96

Kann ein Professor in diesen Zeiten eine Vorlesung wie diese beginnen, ohne daß er von der Situation spricht, in der sie beginnt? Er wird im Normalfall nicht davon sprechen, denn er wird sich sagen, daß er ja in einem und über ein Fach spreche, also eine partielle, keine allgemeine Aufgabe zu erfüllen habe. Er wird es aber auch als ein Germanistik-Professor nicht tun, der seiner Resignation gewiß ist, aber sie nicht ausstellen will. Denn was immer ihn persönlich an diesem Fach anzieht, er weiß, daß längst andere Fächer die sind, die die Wissenschaft heute repräsentieren: Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, Medizin und Biologie, vielleicht noch Psychologie und Geschichte, um einige zu nennen. Der Ruhm und Ruf dieser Wissenschaften ist freilich primär daran gebunden, daß sie den Studenten versprechen, rasch eine Karriere beginnen zu können. Dagegen ist keine einzige von ihnen in der Lage, eine spezielle, eine generelle kompetente Antwort auf die prekäre Situation zu geben, in der wir stehen.
Keine Wirtschaftswissenschaft beugt der Rezession vor oder hilft ihr ab; keine Rechtswissenschaft wird der rechtlichen und kriminellen Probleme, die sich ständig mehren, Herr; keine Medizin bringt einen Durchbruch angesichts der neuen epidemischen körperlichen und seelischen Leiden; keine Psychologie ändert etwas an der Zunahme von alltäglicher und kollektiv-kriegerischer Gewalt. Aber ratlos sind auch die Praktiker, die verzweifelt und vergeblich die Theoretiker um Rat fragen: die Politiker und die Polizisten, die Wirtschaftler und die Militärs. Und die Vertreter der großen Sinn- und Erkenntnissysteme: die Theologen und Philosophen zahlen mit allerkleinster Scheidemünze.
Dabei ist unsere Situation krisenhafter als alle anderen in der bisherigen Geschichte. Aber nicht das Vorkommen von ökonomischen Krisen, von Kriegen, Naturkatastrophen, Hungersnöten, Epidemien, nicht die neuen Komplexe der Umweltzerstörung, der Überbevölkerung, der Atomgefahr etc machen die äußerste Krisenhaftigkeit aus, sondern die Gleichzeitigkeit und die universelle Vernetzung all dessen sind das Neue und Unerhörte und demgegenüber die völlige Inkompetenz der sogenannten Verantwortlichen und deren fast völliger Mangel an Idee und Geist, der dazu führt, daß der Springflut der Schwierigkeiten mit einer Pragmatik entgegengetreten wird, die zur Lösung von Kleingartenproblemen gerade noch ausreichen mag.
Was hat die Germansitik damit zu tun? Nach ihrem aktuellen Stande nichts; nach den Postulaten ihrer ‚Gegenstände' - Sprache und Literatur - alles.
Die spezielle Trostlosigkeit der heutigen germanistischen Literaturwissenschaft liegt ja darin, daß sie nach dem mißlungenen Versuch ihrer sogenannten Politisierung in den siebziger und frühen achtziger Jahren sich jetzt in ein Fachidiotentum zurückgezogen hat, das sich seine sogenannten Interessen auch noch von außen vorschreiben läßt. Und die Sprachwissenschaft denkt Sprache nicht mehr, sondern exekutiert zeichen-, kommunikations- und systemtheoretische Entwürfe, in denen Sprache sich mit der Rolle eines medialen Apparats zu bescheiden hat.
Karl Kraus hatte im Mai 1931 in der "Fackel" ein Konfuzius-Zitat aufgegriffen, das der junge Erich Heller in einem Vortrag verwendet hatte: "Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht, stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht; gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft die Justiz nicht; trifft die Justiz nicht, so weiß die Nation nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Also dulde man nicht, daß in den Worten etwas in Unordnung sei. Das ist es, worauf alles ankommt."
Die Germanistik versäumt es seit Jahrzehnten, seit sie sich mehr und mehr ideologisieren und instrumentalisieren ließ, auf der Ordnung der Worte zu bestehen. Und sie versäumt mehr und mehr, die Literatur als modellhafte Ordnung der Worte vorzustellen. Sie hat ihre große Überlieferung - von Walther und Wolfram über Luther, Gryphius., Lessing und Goethe, von Lichtenberg über Novalis und Kleist bis zu George, Rilke, Karl Kraus, Musil und Kafka - sie hat ihre große Überlieferung entweder ganz vergessen oder tothistorisiert. Das ist nicht nur ihre Schuld, sondern auch der Grund dafür, daß es fast vollständig zur Zerstörung von Sprache und Literatur als den Gegenmitteln zur Barbarei gekommen ist und daß beides in die Dienste der Barbarei genommen werden konnte, ob sie nun als Kriegsnationalismus, Nazismus, Kommunismus, Reklame- und Medienterror, moralisch-politische Korruption, Konsumidiotie oder anderes sich zeigt.
Die Germanistik hat sicher mit dem Krieg in Jugoslawien z.B. unmittelbar überhaupt nichts zu tun. Aber daß die Barbarei ganz plötzlich wieder aufbrechen kann, hat etwas damit zu tun, daß den Menschen Sprache nur noch als Geschwätz und daß ihnen Literatur als ideologisiertes Geschwätz begegnet. Und daß dies möglich wurde, dafür ist eine Wissenschaft wie die Germanistik mitverantwortlich.

"PAUL

Jetzt erkenne ich: als ich diese Stadt betrat, um mir mit Geld Freude zu kaufen, war mein Untergang besiegelt. Jetzt sitze ich hier und habe doch nichts gehabt. Ich war es, der sagte: Jeder muß sich ein Stück Fleisch herausschneiden, mit jedem Messer. Da war das Fleisch faul! Die Freude, die ich kaufte, war keine Freude, und die Freiheit für Geld war keine Freiheit. Ich aß und wurde nicht satt, ich trank und wurde durstig. Gebt mir doch ein Glas Wasser!"(19) (Brecht, Mahagonny)

(nach oben)

VON DEN MEDIEN

"Metapher als Titel

beweist journalistische Talentlosigkeit, wiewohl journalistisches Talent auch noch keine Gottesgabe ist.

Wahl im Schneckentempo
Wenn es so weitergeht, hat Berlin am jüngsten Tag noch keinen Oberbürgermeister!

Was gewiß unerträglich wäre. Aber es ist ein privater Ausruf, kein Titel. "Schneckentempo" in großen Lettern ist nur möglich als Titel für ein Wettrennen von Schnecken. "Die Katze aus dem Sack!" "Die Kuh aus dem Stall!" Da kann es sich nur um Katze und Kuh, um Sack und Stall handeln. Journalismus ist schon dort, wo er richtig geht, Vervielfältigung dessen, was die Einfalt privat nicht zu äußern wagte: der angeödete Hörer wird zum interessierten Leser. Der neue Journalismus ist die Privatisierung des Öffentlichen."

Die Fackel. Hrsg.Karl Kraus.Nr.
847 - . 851. Ende März 1931. S. 88.

Alles klar

Scheinbar gebe es ein Haushaltsloch, sagt die sympathische Sprecherin der Fernsehnachrichten. Anscheinend weiß sie nicht, daß es hier falsch ist, "scheinbar" zu sagen. Jedenfalls sagt sie einfach das, was man ihr aufgeschrieben hat. Und anscheinend weiß der, der es ihr aufgeschrieben hat, ein Nachrichtenjournalist, nicht, daß es "anscheinend" heißen müßte. Denn nicht bloß dem Scheine nach gibt es ein Haushaltsloch, nicht bloß scheinbar, was keine Nachricht wäre, sondern anscheinend, also mit großer Wahrscheinlichkeit.
Aber diesen Unterschied kennt er nicht mehr,vielleicht begreift er ihn nicht einmal. Er schreibt einfach so, wie man so redet. Alles klar.

Apposition mit als ?

Sie schaffen es nicht. "... mit Blick auf die Republikaner als möglichem 'Zünglein an der Waage' zwischen Rot-grün und Schwarz-gelb..." Nicht, als hätte er sich gar nicht bemüht. Aber in der Schule hat er nicht aufgepaßt (oder der Lehrer wußte es selbst schon nicht mehr), denn er war aufs Leben , also auf die Zeitung aus und wollte eine flotte Schreibe bekommen. Da muß man Metaphern spucken, Grammatik ist Pedanterie. Trotzdem, er hat es versucht. Irgendwann hat er wohl mal was von der Apposition mit als gehört. Aber wie ging es dann weiter ? Gleicher Casus ? Natürlich, "mit Blick...als möglichem". Jedenfalls, man muß es versuchen, man muß den Mut zum Risiko haben. Und überdies: ein Dativ kann nicht schlecht sein. An und für sich ist er schon ziemlich sophisticated oder cool oder so. Und dann liefern wir ja noch dieses lebendige Gemisch aus Kanzlei, Sprichwort und Farbmetaphern: "im Blick auf....'Zünglein an der Waage'... Rot-grün und Schwarz-gelb". So merkt ein jeder: guter Schreiber und doch nachdenklich. Man erkennt den Journalisten als Intellektuellem.

Nachdenklichkeiten.

Am schönsten ist es, wenn sie es richtig machen wollen. Der normale Journalist, erst recht der Nachrichtenjournalist, ist ignorant. Er kennt z.B. den Unterschied zwischen einem Staatsoberhaupt und einem Regierungschef nicht. Also nennt er einen Staatspräsidenten gern Ministerpräsident und umgekehrt. Das ist ein tägliches Malheur und läßt nur erkennen, wie zuverlässig wir durchweg informiert werden. Nun aber hat sich einer etwas gedacht, und zwar so: er hat sich gesagt, Österreich habe wie jeder ordentliche Staat einen Regierungschef. Regierungschefs, so hat er gehört, heißen gemeinhin Ministerpräsidenten. Weiter hat er gehört, ein Herr namens Vranitzky sei der ehemalige Regierungschef Österreichs. Und so heißt es dann ganz konsequent in den Nachrichten: der frühere österreichische Ministerpräsident Vranitzky... Was mag der Nachdenkliche sagen, wenn man ihn fragte, welche Funktion der Bundeskanzler Kohl gehabt habe?
Im Gebrauch der Grammatik geht es ganz ähnlich zu. Ein normaler Journalist, der mit der Sprache nur etwas anfangen kann, wenn man ihm zuruft: Hasch die Metapher! - ein normaler Journalist also bildet Vergleichsformen nicht nur von Adjektiven, von adjektivisch gebrauchten Partizipien und von einigen Adverbien, sondern natürlich auch von Formen des Verbs. Er sagt 'der gesehenste Gast' oder das 'hochbezahlteste Bild'. Nicht so der nachdenkliche Journalist. Er hat da irgendetwas im Hinterkopf: nicht alles ist steigerungsfähig. Hoch, höher, am höchsten - das geht. Also das höchstbezahlte Bild ? Nein, das gefällt ihm nicht, denn die Steigerungsform erscheint doch am Wortende. So macht er einen journalistischen Kompromiß und läßt drucken: "...das höchstbezahlteste Bild".

Ein Mediensprachgeschädigter

Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen A.G. spricht in einem Interview solche Sätze: "Indem wir die gesamte Marke höher positionieren. Mit mehr Emotionalität und Fahrspaß, unverwechselbarem Design, höherer Anmutung und Qualität. Die Ausstrahlung des Bora schaffen wir durch eine sportlich-dynamische Auslegung sowie durch einen kraftvollen Auftritt."
Was ist mit dem Mann passiert ? Niemals würde er doch soetwas im wirklichen Leben sagen. Das sind Medienschaumsätze, jenseits von Sinn und Verstand. In Sprache können sie nicht übersetzt werden. So geht es einem Mediengeschädigten, dem der Schnabel verwachsen ist.

Journalistische Distanzlosigkeit

Distanzlosigkeit ist eines der Grundprobleme der heutigen Gesellschaft in Deutschland. Es geht nicht mehr darum, den Klüngel, wo immer er auftaucht, zu brandmarken, sondern ihn herzustellen. Immerhin wissen Justiz, Politik, Verwaltung, daß Distanz sein sollte, da sonst unabhängige Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können und der Weg zur Korruption schon psychologisch geebnet ist. Ein Richter, der mit einer Zeugin, die er privat kennt, auf Du und Du verhandelt, kann nicht mehr glaubhaft machen, daß er in seinen Entscheidungen vollkommen unabhängig ist. Indem er seine Privatbeziehung ausstellt, während er als Richter amtiert, wird seine Amtsführung schielend.
Es spricht vieles dafür, daß die Verklüngelung der Gesellschaft einem journalistischen Brauch folgt. Denn bei Journalisten ist die Distanzlosigkeit habituell. Das hat zunächst gar nichts damit zu tun, daß Journalisten auf Klüngelei zielen, da ihr Interesse an der Kritik ihrer Objekte als einer Form der Machtausübung doch größer ist als das Interesse an der Klüngelei.
Aber gleichzeitig plagt jeden Journalisten mehr oder minder das Gefühl der Minderwertigkeit. Das hängt sowohl mit der öffentlichen Einschätzung des Journalismus zusammen wie mit der beruflichen Selbsteinschätzung. Die ist darum notwendig gering, weil es eine deutliche Ausbildung wie in einem Handwerksberuf oder in einer juristischen Stellung nicht gibt. Dazu kommt, daß viele Journalisten immer noch Studienabbrecher sind: ihre Unfähigkeit zu geduldiger Arbeit, ihr Hang zum Gehudel machen sie ungeeignet zu einem ernsthaften Studium, aber höchst geeignet zum Journalismus. All das kompensieren sie durch Distanzlosigkeit zu den Prominenten, zu den sozialen Eliten, denen sie sozusagen ständig auf die Schulter klopfen. Grassierend ist es längst geworden, daß Journalisten hohe Staatsfunktionäre nicht distanzfördernd mit dem Titel, sondern mit dem Namen, immer mehr auch schon ohne den "Herrn" oder die "Frau" einfach mit Vor- und Nachnamen anreden. Es ist die Attitude: Wir trinken auch gern ein Bier zusammen.
In der Regierung gibt es bereits einen Minister, der seinerzeit (sozusagen als erste Amtshandlung) die Distanzlosigkeit von den Kollegen Journalisten einforderte. Hier zeigte sich allerdings mehr die Kompatibilität der 68er Distanzlosigkeit mit der journalistischen.

Journalistisches Mittelalter

Vom "Mittelalter" wird in den Medien dann gesprochen, wenn es sich um das 16. oder gar um das 17. Jahrhundert handelt, also um die frühe Neuzeit. Und wenn ein Begriff wie Inquisition auftaucht, ist das für Journalisten allemal eine Angelegenheit des Mittelalters.
Nun öffnet der Vatikan seine Inquisitionsarchive, und da fragt der Rundfunk natürlich einen Mittelalterhistoriker, was er davon halte. Doch der sagt einigermaßen deutlich, daß er gar nicht zuständig sei, da es bei der Inquisition des "Mittelalters" und ihren Archiven vor allem um die der frühen Neuzeit gehe, denn die spektakulären Fälle (G. Bruno, Galilei), die jetzt erforscht werden könnten, seien eben in dieser geschehen.
Ein entzückend absurder Dialog. Der Historiker glaubt natürlich, soweit einen kompetenten Gesprächspartner zu haben, als der wisse, was das Mittelalter sei. Und er, der Historiker des Mittelalters, sei nur darum zugezogen worden, weil der Rundfunkmann wirklich angenommen habe, die Archiveröffnung betreffe die Inquisition des Mittelalters. Aber der Journalist hatte sich natürlich gesagt, Inquisition, das sei natürlich Mittelalter, insofern für ihn alles, was vor 1700 geschehen ist, zum Mittelalter gehört und schon gar alles, was Finsternis und Kuriosität evoziert. Also konsultierte er den Fachmann für Mittelalter.

Richtigstellung

Aus einem journalistischen Unsinn kann dann und wann eine richtige, wenn auch in diesem Fall überflüssige Nachricht werden. Sie lautete dann etwa: Die erste Anfrage Andrew Lloyd Webbers als Lord im Oberhaus, ob für Arbeiten an Kirchen Steuervergünstigungen gewährt werden können, beantwortete der stellvertretende Premierminister Lord McIntosh. Er erklärte, die Regierung halte es für angemessen, Kirchenreparaturen mit der üblichen Steuer zu belasten.
Was aber bekommen wir zu lesen ? Zunächst wird behauptet, der neue Lord komme "auf dem politischen Parkett noch nicht so gut zurecht". Dann heißt es, der stellvertretende Regierungschef habe die Anfrage Lord Lloyd Webbers 'zurückgewiesen'. Schließlich wird als Antwort auf die Anfrage nach Steuervergünstigungen angegeben, Kirchenreparaturen sollten von der Steuer nicht ausgenommen werden.
Mehr Unsinn kann man innerhalb eines so kurzen Textes nicht machen. Der neue Lord hat eine Anfrage im Oberhaus eingebracht, der stellvertretende Premierminister hat sie beantwortet. C'est tout. Die negative Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage weist nicht aus, daß der Interpellant sich "auf dem politischen Parkett noch nicht so gut" zurechtfindet, sie ist keine 'Zurückweisung' der Anfrage, und wer die Antwort bekommt, jemand sollte von der Steuer nicht ausgenommen werden, kann nicht gefragt haben, ob jemand nicht Steuervergünstigungen bekommen könne, also nicht keine Steuern, sondern weniger Steuern zahlen sollte.
Aber wir Leser wissen, daß die Lektüre von Zeitungen u.a. aus der Richtigstellung ihrer Nachrichten zu bestehen hat.

Wenn Journalisten nicht fragen, sondern von ihrem Fragen reden

Zu den wenigen intelligenten Veranstaltungen des Fernsehens gehören die einfachsten, nämlich Gespräche mit einem klugen Menschen. Dazu bedarf es lediglich eines passablen Fragestellers, von denen das Fernsehen allerdings nur ganz wenige hat. Denn die sind fast immer Journalisten und daher ohne Kenntnisse und ungenau und stellen Fragen, die auf irgendetwas Sensationelles aus sind, dem sich die Befragten, wenn sie nicht ganz dumm sind, verweigern.
Aber welch absurder Einfall zu meinen, man müsse im Fernsehen die Fragesteller von Talkshows befragen, und zwar über das, was sie tun. Hier drückt sich nichts anderes als die maßlose Selbstüberschätzung einer Gruppe aus, die doch nur etwas transportieren soll. Es ist selbstverständlich, daß bei einer solchen Unternehmung nichts einigermaßen Gescheites herauskommen kann. Es sind gewissermaßen Kantinengespräche, bei denen über so faszinierende Themen wie den Sendeplatz, das sogenannte Format, was eine Sendefolge meint, und ähnlich Bedeutungsvolles gesprochen wird, was den Zuschauer, wenn er noch einigermaßen gerade gewachsen ist, kein bißchen interessiert. Anzunehmen, daß die Verpackung außer in Verpackerkreisen irgendjemanden kümmern könnte, zeugt vom Aberwitz dieses Berufes. Und der wird nur gemäßigt durch die Einsicht eines alternden Brillenbaumlers und Plauderers, daß es bei der sogenannten Talkshow am besten liefe, wenn der sogenannte Moderator hinausgehen und ein Bier trinken könnte.
Warum glaubt man, es sei für die Leute auch nur unterhaltsam , etwas über das Hinausgehen und das Biertrinken von Journalisten zu erfahren ?

Schlaraffenlandjournalismus.

In Analogie zur naiven Malerei gibt es so etwas wie naiven Journalismus. Der wird von den Blättern betrieben, die 'schönes Leben' verkaufen.
In der Zeitschrift "Essen und Trinken" hat sich eine Dame aufs Idyllische kapriziert. Mit dieser Caprice macht sie sich auf den Weg durch den Göta-Kanal in Schweden, und zwar auf der "Wilhelm Tham", die "klein und rührend altmodisch" aussieht (also anscheinend gar nicht "klein" ist) und die "wir" "auf den ersten Blick" "lieben". "Wir" schreibt die Dame den ganzen Bericht hindurch. Ist das nun ein Plural maiestatis, oder gibt es da noch jemand ? Wenn es so wäre, müßte es sich um den Schatten eines Schattens handeln, denn die Verfasserin erscheint während der fünf Reisetage immer nur als Konsumierende, gewissermaßen zweidimensional: sie ißt, sie trinkt, sie kauft, und das äußerste ist, daß "unser Blick fällt", aber natürlich "auf ein zum Restaurant umgebautes altes Lagerhaus".
Lautete früher der Beschluß, daß der Mensch was lernen muß, so ist hier "unser erster Beschluß", der dem letzten entsprechen wird: "Hier essen wir heute zu Abend". Nun geht es aber los: Hier kann man "Fischspezialitäten aus der Halle"- na -"verkosten", dort "genießen" "wir" "frische Eismeergarnelen"; dazu "probieren wir unser erstes Lättöl". Dann "genießen" "wir" allwedder "die zweifellos beste Heringsplatte unseres Lebens".
So geht das fünf Tage lang, denn "Seefahren macht hungrig", und darum "eilen" "wir" und "genießen voller Freude".
Außerdem finden wir Zeile für Zeile den richtigen Ton. Wie sind die Erdbeeren ? "Aromatisch". Wie ist der Hauswein ? "Preiswert" und "trinkbar". Wie ist die schwedische Bedienung ? "Liebenswürdig". Und wie sind die amerikanischen Tischnachbarn ? "Reizend".
Zwischen den nichterwähnten Rülpsern und Bolumie-Anfällen wird Landschaft konstatiert. "Rund" "herum Idyll": "saftig grüne Wiesen", "Bäume am Uferrand", "sanft blinzelnde Kühe", "blökende Schafe". Doch da der Morgen "schön, aber kalt" ist, "schaffen wir es zum Mittagessen schon wieder Appetit zu haben".
Von da ab geht es weiter mit Appetit und bis zum Ende wie geschmiert: "Heringsspezialitäten", "Blumensträuße", "Vasa-Burg", "Geflügelterrine", "Fischsuppe", "liebliche Landschaft", "Rinderfilet", "Gravad Lax", "Delikatessenplatte", "Heringsspezialitäten", "Bummel durch die Altstadt", "butterzartes Rentierfilet", "Reise ausklingen lassen", "Planung für den nächsten Urlaub", "Götakanal natürlich"- Finger in den Hals - Heringsspezialitäten - Geflügelterrine - Fischsuppe - leckere liebliche Landschaft - Lust zu leben - lirumlarum Löffelstiel...

Medientreffen.

Früher trafen sich die Berufsgenossenschaften und Verbände. Vorne saßen die, die vorne sitzen. Sie langweilten sich von Anfang an, machten aber ein angestrengtes Gesicht. Dann spielte das zuständige Orchester die zuständige Musik. Dann kam die Begrüßung mit einer Latte von bürgerlichen Heroen. Dann kam die Festrede. Während der wurde schon häufig auf die Uhr geguckt. Und irgendwann war es dann aus.
Heute treffen sich die Medien und werden in den Medien medial vorgestellt. Vorne sitzen wie früher die, die vorne sitzen. Aber dann wird es dunkel. Und dann wird es auf einem großen Schirm sehr blau, so etwa wie bei den Fernsehnachrichten oder dem Wetterbericht oder einem Bericht über die äußere Mongolei oder bei Science Fiction. Es gibt nur blaues Gewolke und Gewese, aber es dauert nicht lang. Zum Schluß der performance kommt ein Pfeil und da weiß man gleich: Aha, Fortschritt, Innovation.
Jetzt kommt eine junge Dame, die offenbar aus einer Weltraumkapsel ausgestiegen ist, blaugrau schimmernd, und die sagt die Titel der bürgerlichen Heroen auf und dann sagt sie ein paar inhaltlose Sätze. Am Ende bittet sie den Herrn, der das Geld hat und gibt, auf die Bühne. Der sagt eigentlich gar nichts. Und das auch gar nicht geläufig. Es müsse schneller gehen, auf die Praxis komme es an , und er freue sich, sagt er beispielsweise.
Nun will das Staatsoberhaupt den Festvortrag halten, wird aber von der blaugrauen Kosmonautin wieder weggescheucht mit den Worten, er dürfe gleich, das heißt, nachdem sie gesagt hat, jetzt halte das Staatsoberhaupt, den sie vertraulich mit Professor anredet, den Festvortrag.
Der beginnt dann wie früher mit einigen launigen Bemerkungen und setzt sich wie früher fort. Trotz Innovation und Fortschritt guckt man bald auf die Uhr. Unter den vorne Sitzenden bemerkt man u.a. den Intendanten des ZDF, Prof. Dr.h.c. Dieter Stolte, der immer und bei allem vorne sitzt, wenn er nicht gerade selbst den Festvortrag hält. Man wird das später in der Chronik des Jahrbuchs des ZDF nachlesen können.
Aber im ganzen ist es im Verhältnis zu früher sehr innovativ und sehr blau. Und am Wegscheuchen des Staatsoberhaupts merkt man, daß ein neues Zeitalter begonnen hat.

Was für uns vorgesehen ist

Die sogenannten privaten Fernsehsender sind Reklameirrsinn mit angehängten Programmstücken. Die sogenannten Öffentlich-Rechtlichen machen mit unserem Geld, was sie wollen. Die Programmverantwortung ist längst eine Phrase. Zwischen Fußballspielen, die von hochbezahlten Nichtskönnern vorgeführt werden, und den ewig gleich strukturierten Kriminalstücken gibt es nur die Nachrichten und manchmal ein Magazin, die das Hingucken lohnen.
Dann kommen die Kultursender: 3Sat und Arte. Der erste ist bieder, bringt dann und wann etwas Nennenswertes, hat aber den üblichen Magazincharakter. Der zweite ist designed. Er tut sich etwas darauf zugute, vor allem für die An-, Ab- und Zwischenspanns zu sorgen: manchmal läßt er z.B. lange Zeit seine Mitarbeiter hüpfen. Eine tolle Idee. Er hat immerhin Themenabende, wenn er daraus auch oft eine Ollapotrida bereitet..
Wie schön war es, als Phoenix und Bayern Alpha kamen. Der erste sollte vor allem dokumentieren. Und das gehört zum Sinnvollsten dessen, was Fernsehen tun kann. Aber man muß ja Journalisten beschäftigen. Also reden die wie immer dazwischen. Eine Bundestagssitzung steht an. Alles könnte so gut wie ohne Kommentar ablaufen. Man könnte sich über die kumpelhaften Attituden des Bundestagspräsidenten (liebe Kollegen) wundern, man bekäme alle Nuancen des rhetorischen Gezappels der allermeisten Abgeordneten mit, man könnte einige Blicke ins Hohe Haus werfen, das wieder nicht annähernd vollzählig ist, die Zeitung liest und elegante Zwischenrufe macht (manche titulieren den Redner schon per Du). Aber nein, einer, der natürlich weder über die Formalien Bescheid weiß noch richtige Informationen gibt, muß dazwischenreden. Beschwert man sich bei einer Frau Ditzen, die das Kommando hat und ein Plappermaul ist, bekommt man die üblichen dummen Antworten. Denn man hat denen, die wissen, was der Zuschauer braucht, keine Einwände zu machen.
Von schöner Einfachheit ist Bayern Alpha, das nur zu schematisch wirkt und an die alte Volkshochschule erinnert. Dennoch gehört eine der unaufwendigsten Sendungen zu den besten in Deutschland. Es ist das Abendgespräch, das als "Forum" firmiert und eine Frau, einen Mann der Öffentlichkeit mit einem Gesprächspartner des Senders zusammenspannt. Man kann sich eine Dreiviertelstunde Zeit lassen, und wenn sich der Mann vom Fernsehen gut vorbereitet hat, kann das eine höchst instruktive und sinnvolle Zeit werden ohne jede Ausstattungsfaxen und ohne all' die Format-Wichtigtuerei, die nie etwas anderes ist als gestylte Plattheit.
Aber das Schönste sind oder sollten sein die neuen, nur digital zu empfangenden Spartensender. Welch ein Labsal ist der Theaterkanal, der aus den Archiven des Fernsehens seit Anfang der sechziger Jahre Opern, Operetten, Tragödien und Komödien hervorholt, die für die allein der Verdummung dienenden Hauptprogramme verloren sind. Aber da ja nichts so ist, wie es sein könnte, hat man alsbald auch hier das Schielen eingeführt. Zwar geht es nur um ein vergleichsweise winziges Publikum, aber schon ist ein Dummkopf da, der auf die Zuschauerzahlen schielt, noch innerhalb der kleinen Zahl auf Steigerung Wert legt und darum ohne jede Not auf den günstigsten "Sendeplatz", abends 19.40, irgendein läppisches archiviertes Volksstück legt, so daß man mit dem Ernstzunehmenden doch bis halb elf warten muß.
Glücklich ist der Gedanke eines Monatsspielplans, der freilich nicht immer dicht ist, aber schon wunderbare Nestroy-Abende, die Nibelungen Wagners und Hebbels , Verdi-Folgen, russische Dramatiker und vieles andere gebracht hat.
Schließlich ist der Festival-Kanal der ARD zu erwähnen, der auch mit Archivalien aufwartet, aber leider auch schielt. So bringt er prächtige Orchester- und Kammerkonzerte, aber auch und unnötigerweise abgelegte Filmware. Leider hat man gar keine Gelegenheit, in den Programmzeitschriften die Angebote dieses Kanals zu lesen.
So schlimm das Niveau der großen Kanäle ist, es wäre nicht richtig zu behaupten, es gebe gar nichts Sinnvolles auf dem Fernsehmonitor. Nur, da wir ja als Versorgte nicht mitzusprechen haben, droht auch bei den Nischenkanälen unablässig die Gefahr, daß alles Gute vom Geschwätz oder vom Schielen der journalistischen oder verwaltenden Dummköpfe ausgezischt oder -geblendet wird.

VON DER POLITIK

Was die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer in einer als"fulminant" bezeichneten Rede unter anderem gesagt hat:

Ich verstehe sehr gut, daß viele den weiteren Weg der PDS auch an meiner Person festmachen.
Es kann doch nicht sein, ...daß wir die Bundesrepublik Deutschland sich selbst überlassen.
An einigen Stellen sind wir immer noch nicht darüber hinweg.
So dicke haben wir es mit politisch Hochqualifizierten in dieser Partei nicht.
Wir haben da ein Stück Entwicklung auch verpennt.
Wer fällt, muß wieder aufstehen mit Bertolt Brecht.
Das ist des Pudels Kern,...da liegt der Hund begraben.
Was heißt denn, diese Doppelstrategie zu knacken?
Wir müssen die Genossinnen und Genossen wählen, die das alles machen sollen.
Es gibt sehr viele, die sagen: Es ist Mist, daß ihr nicht mehr im Bundestag seid.
Was mir in den letzten Wochen maximal auf den Kranz gegangen ist.
Laßt nie wieder den Vorstand alleine.
Da kann man doch nicht einfach zugucken.

Dazu sagte Uwe Hiksch, der Bundesgeschäftsführer der PDS:
Ich werde als Diener...von Gabi Zimmer...

Wandel durch Annäherung

Einer von den Grünen, der nach eigenen Angaben weiter an der Homoehe stricken will, findet alles an und um Joschka Fischer prima. Ein paar Sätze vorher hatte er für die Erwägungen bei Grün Verständnis gezeigt, wie früher Amt und Mandat zu trennen, also strikt dafür zu sorgen, daß niemand zu viel Macht bekomme. Jetzt plädiert er für diese einzigartige Mischung aus dem Genossen Deng und Hindenburg, die zwar kein Parteiamt hat, aber alles in der und für die Partei regelt. Denn, sagt er ganz in der antiautoritären Tradition der Grünen, jene Mischung werde nicht nur allgemein bewundert, sondern für sie beneide man die Grünen.

Ins Grüne

Die Grünen haben Prinzipien, um sie aufheben zu können.

Die Farbe des Opportunismus ist heute grün.

Die Grünen bleiben eine einzigartige Symbiose aus Kindergarten und Intriganz
Sie wollen mit Förmchen im Sandkasten spielen, aber auch zeigen, daß sie wie große Leute zu jeder Gemeinheit fähig sind.

Grün ist die Hoffnung, auch mal oben anzukommen wie Joschka Fischer, aber dabei immer zu behaupten, man stehe an der Basis wie die Ulla aus Harburg-Land.

Der dicke Rezzo ist der Inbegriff eines Grünen: nämlich für die Veränderung der Welt zu sein, aber 1. Klasse im Flieger via Bangkok. Vom Streetfighter Joschka zum Außenminister war es nur ein kleiner Schritt: es ging um einen Kostümwechsel.

In den Grünen hat die Verlogenheit und die Machtversessenheit der Achtundsechziger überlebt.

VON DER BILDUNG

Die Gebildeten unter den Verächtern der Bildung

Einer der mit Applomb Gescheiterten aus dem Umkreis von 68, Herr von Hentig, trägt stockend und undeutlich einiges vor aus dem Schulfeld und aus seiner eigenen Entwicklung. Aber was er eigentlich will, bleibt so unklar wie immer.
Die Pisastudie wird heruntergespielt. Selbstbetrügende Worte über die freien jungen Menschen, kein Wort aber über diese ungeheuren Mengen an Halb- und Dreiviertelanalphabeten, die nicht irgendwelche Asoziale sind, sondern Kinder aus finanziell genügend ausgestatteten Verhältnissen, in Gruppen mit Bierflaschen in allen Händen, lärmend, trompetend, die, wenn man ihnen irgendein Stichwort gäbe, das nicht erst in ihrer Lebenszeit aufgekommen ist, abwesend gucken würden.
Aber Herr von Hentig hat das entscheidende oder besser gängige Stichwort zur Hand, das in solchen Zusammenhängen immer auftaucht. Es ist das Wort, daß die humanistische Bildung vor 33 jenes Bürgertum, das mit ihr aufgewachsen war, doch auch nicht davor geschützt habe, zu Hitler und den Nazis überzulaufen. Abgesehen davon, daß diese Rede zu pauschal ist, um etwas bedeuten zu können, muß man zur Kenntnis nehmen, daß es ja nicht jene vor allem, sondern Arbeiter und Kleinbürger waren, die zu Hitlers Fahnen kamen. Die aber hatten natürlich keine Gymnasialbildung erfahren und so war ja um 68 das Postulat äußerst virulent, daß eben die geringe Zahl von Schülern höherer Schulen das Übel sei. Man vertraute also darauf, daß gerade dieser Schultypus zum Frommen der Gesellschaft jedermann angeboten werden müsse. Herausgekommen ist ein chaotischer Betrieb und das Pisaurteil.
Aber wie steht es bei genauerer Betrachtung mit Herrn von Hentigs mahnendem Hinweis.? Waren die jungen und älteren Eliten vor 33 auf Schulen und Hochschulen gegangen, die am Geiste Humboldts, Goethes, Hegels orientiert waren? Oder hatten die nicht schon seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nur noch die Funktion des Ornaments. Bestand der Kern des Lebens, das die jungen Leute kennenlernten, nicht bereits und noch vor dem Militär aus Technik und Kapitalvermehrung, dem schier Faktischen und dem schier Nützlichen, aber keineswegs mehr aus den Postulaten des Idealismus.
Genau mit der Behauptung, diese hätten Hitler nicht aufgehalten, werden wir dumm gemacht, damit die heutigen Banausien aus Technik und Kapitalvermehrung, dem schier Faktischen und dem schier Nützlichen um so strahlender als die Garantien demokratischer Kultur gepriesen werden können, obwohl sie doch Banausien bleiben und ihre einzige Qualität darin haben, so leicht konsumiert werden zu können wie die Bierpulle, die unsere Jugend immer dabei hat.

(nach oben)

Eine Zuschrift

... Ich bin Schülerin des beruflichen Schulzenrum[!] für Agrarwirtschaft. Ich belege den Deutsch Grundkurs der 12. Jahrgangsstufe.
Zur Zeit beschäftigen wir uns mit Fabeln. Da heutzutage alles analysiert wird, analysieren wir Fabeln sehr genau. Unsere derzeitige Aufgabe ist es, die Rolle des Löwens[!] im Reich der Tiere einzugliedern. Hierbei sind wir auf eine Ihrer Fabeln gestoßen:

Helmut Arntzen(1931)


Der Löwe trat morgens vor seine Höhle und brüllte.
Nicht so laut, Sire[dieses Wort wurde im Zitat ausgelassen, weil es wahrscheinlich im Abdruck nicht vorkam. Denn, hatte sich der Herausgeber des Schulbuchs, der es selbst schon nicht wußte, gefragt, was sollen die Schüler mit einem solchen Wort anfangen?], rief ein Affe.
Sie sollten früher aufstehen, bemerkte ein Esel, der in der Nähe war. Und nicht so drastisch riechen.
Wie, brüllte der Löwe, bin ich nicht mehr König der Tiere?
Schon, sagte der Affe, aber als konstitutioneller Monarch einer parlamentarischen Demokratie.

Dem beistehenden Geburtsjahr kann ich entnehmen, daß Sie viele unterschiedlichste Zeiten erlebt haben. Sie sind in der Zeit der Weimarer Republik geboren, haben den 2. Weltkrieg, die Nachkriegszeit, die Zeit von Ost und West miterlebt und leben jetzt in dem wiedervereinigten Deutschland. Die Tatsache, daß Sie sehr viel in Ihrem Leben gesehen haben müssen, fasziniert mich
Nun zu meinem eigentlichen Anliegen. Der Fabel war leider keine Jahreszahl zugeschrieben, so daß ich und mein Grundkurs vor der 1.Frage standen. Wann, in welcher der Zeiten, die Sie erlebt haben, ist diese Fabel entstanden?
Zudem bemerkten wir, daß Sie als Deutscher von einer konstitutionellen Monarchie, einer parlamentarischen Demokratie schrieben.
Ich kann behaupten, daß ich weiß, daß es in Ihrer bisherigen Lebenszeit keine solche Monarchie in Deutschland gab, sondern nur in England. Es kann ja auch sein, daß Sie Ihre Fabel auf eine ganz andere zeitliche Epoche beziehen.
Nun ergeben sich unsere nächsten 2 Fragen.
Auf welches Land, auf welche Zeit beziehen Sie Ihre Fabel?
Und was sind die Hintergründe dafür, daß Sie diese Fabel schrieben?
Nun möchte ich hiermit offiziell meine Bitte äußern. Bitte beantworten Sie unsere Fragen und stillen Sie somit diesen Teil unseres Wissensdurstes.
Eine Antwort würde uns sehr freuen.
...

...
haben Sie schönen Dank für Ihre Anfrage vom 25.8.
Sie haben natürlich recht, wenn Sie annehmen, daß hinter mir sehr unterschiedliche Zeiten liegen. An die Weimarer Republik kann ich mich selbstverständlich nicht mehr erinnern, wohl aber an die Nazizeit, die gleichzeitig meine Kinderzeit war, an den Zweiten Weltkrieg, die Nachkriegszeit, die Zeit zwischen Trennung und Wiedervereinigung, die mir schon darum sehr gegenwärtig ist, weil ich zehn Jahre an der Freien Universität Berlin gelehrt habe (längst vor 1989).
Aber Sie wollen etwas über die Fabel vom Löwen wissen.
Zunächst gilt, daß, entgegen üblichen Annahmen, der Autor nie der beste Interpret seiner Arbeiten ist. Aber da ich v.a. Literaturwissenschaftler bin, versuche ich doch ein paar Worte zu Ihrer Frage zu sagen.
Die Fabel ist irgendwann am Anfang der sechziger Jahre entstanden, sehr wahrscheinlich in Berlin. Aber das sagt eigentlich nicht viel. Denn ein literarischer Text ist eben etwas anderes als ein mitteilender. Meiner reiht sich selbstverständlich ein in die Geschichte der Gattung "Tierfabel", von der Ihr sicher gesprochen habt, sie heißt auch nach ihrem ‚Erfinder' aesopische Fabel.
Und darum ist der zentrale Punkt gar nicht die Frage nach der konstitutionellen Monarchie oder der parlamentarischen Demokratie, sondern die nach dem Löwen, der in der aesopischen Fabel ja der ‚König der Tiere' ist. Und der sieht sich eines (Fabel-)Morgens einer völlig unerwarteten Situation gegenüber: nämlich der von Naseweisen bestimmten - nicht von ungefähr sind es Affe und Esel -, die herausgekriegt haben, daß sie in einer Zeit leben, in der es mit dem Königtum des Löwen gar nicht mehr weit her ist. Haben sie ihm bisher gehorcht, so tanzen sie ihm nun mit neuen Begriffen auf der Nase herum. Wie man das beurteilt, ist eine Angelegenheit des jeweiligen Betrachters. Jedenfalls sollte jeder sehen, wie die ganze Welt von einem Augenblick zum anderen durch neue Begriffe verändert werden kann.
Mit den besten Wünschen für's Analysieren:...

VOM (EINSTIGEN) LEBEN

1944

Heidelberg, im Sommer. Am 6. Juni geht der Dreizehnjährige nach dem Unterricht in der Philipp-Lenard-Schule auf der rechten Neckarseite Richtung Neuenheim. Es ist warm und schön. Er trifft einen älteren Lehrer, mit dem er ein Stück Weg geht, was sonst nie vorkommt. Der Lehrer spricht von der Invasion, die an diesem Tag begonnen hat, vorsichtig, aber doch so, daß der Schüler merkt, jener glaube nicht mehr an den "Endsieg",. Er trägt abends ein: "Heute Invasion begonnen. Was wird folgen?"
Am 22. Juni ist er im Kino und sieht "In flagranti", "einen lustigen Detektivfilm".
Im Juli fährt er nach Hause und dann mit den Eltern ins Lippische. Es gibt noch eine Pension, die die Gäste einigermaßen versorgen kann. Man macht wie üblich Spaziergänge, trinkt in der Gaststätte des kleinen Flugplatzes "Fliegerbier".
Am Anfang der dritten Woche heißt es : "Wir hörten die Rede von Dr. Goebbels aus Anlaß der Errettung des Führers". Zwei Tage später wird aufgezeichnet, daß "wir uns auf einem Spaziergang verliefen" und"in einem kleinen Wäldchen viele Walderdbeeren" "fanden".
Ein paar Tage darauf wurden die Koffer wieder gepackt, wir wurden zum Bahnhof gebracht: "Unterwegs gabs noch Vollalarm". Wir "mußten in den Keller und konnten erst nach langem Hin und Her und viel Aufregung in den Zug".
Im August ging man häufiger ins Kino und sah "Jud Süß", "Junge Adler", "Wiener Blut" und "Schüsse in der Wüste". Dann fuhr man nach Heidelberg zurück. Es gab aber schon keinen "geregelten Unterricht" mehr. Am 29. August kamen die "Einberufungen zum Schanzen...für die Jahrgänge 26 - 30". Ich gehörte zum Jahrgang 31. "Wir sind nur noch mit 8 in der Klasse".
Die Schulen werden geschlossen. Ich soll, raten Verwandte, wieder nach Hause fahren. Der Vater sagt am Telefon - das Telefonat ist noch etwas Außerordentliches --, ich solle nicht fahren.
Im Kino wird "Immensee" "mit K. Söderbaum" gesehen. "Sehr schön"(unterstrichen).
Ich fahre dann doch.
Am 14. und 15. Oktober gibt es drei schwere Luftangriffe auf Duisburg. Als die Schulen in Heidelberg noch einmal öffnen, muß ich wieder nach H. fahren.
Ich trage am 9.November unterwegs ein: "Mittags 3.15 geht die Himmelfahrt los. Zuerst bis Styrum. Dann in einen Triebwagen reingequetscht , bis Kettwig. In Kettwig mit Personenzug nach Wuppertal-Vohwinkel. Von Vohwinkel mit Personenzug nach Hagen. In Hagen fast die ganze Nacht gesessen. Entsetzlich!" Am nächsten Tag: "Endlich morgens 4.35 nach Siegen". Dann heißt es nur noch "Von Siegen", und ich weiß nur noch, daß es vor Frankfurt einen Tieffliegerangriff gab. Ich lag am Bahndamm, das Gesicht nach unten, neben mir mein Köfferchen. Irgendwann war ich in Heidelberg und sehr erschöpft.
Weihnachten verbrachte ich bei einer Tante in Mannheim, deren Mann kurz vorher bei einem Luftangriff im Eingang zum Luftschutzbunker erdrückt worden war. Die Weihnachtstage waren natürlich traurig.

Sprache im "Spiegel"

Kurioser läßt sich kaum etwas denken: Eben ist da noch im bewährten Jargon von "Formel 1" die Rede gewesen und bald danach vom "Fluch des schlechten Atems", da macht sich der "Spiegel" in Nummer 43/2002 auf etlichen Seiten daran, zu beschreiben, "wann der Urmensch das Sprechen gelernt" hat. Dem schickt er noch ein Interview mit dem Linguisten Derek Bickerton hinterher und etwas über Hirnoperationen, die klären sollen, "wo im Kopf die Sprache entsteht", Das Ganze wird als sogenannte Titelgeschichte so angekündigt: "Der Anfang war das Wort. Wie der Mensch die Sprache erfand und dadurch zum Menschen wurde". Das Unternehmen ist nicht nur kurios, sondern auch beachtenswert. Denn Journalisten schreiben über alles, aber ganz selten über Sprache und reagieren (einschließlich derer vom "Spiegel") ganz empfindlich auf Kritik an ihrem Sprechen..
Zunächst einmal wird die alte journalistische Attitude, nämlich ganz genau zu wissen, auf das höchst schwierige Thema der Sprachentstehung angewendet: "Wie der Mensch ...erfand", obwohl es hier wie durchweg sonst nur um die populäre Darstellung neuer Sprachentstehungstheorien geht.
Dann gerät gleich im Titel aphoristisch Nachdenkenswertes und Thetisches miteinander in Streit. "Der Anfang war das Wort" ist eine interessante Variante zum Eingang des Johannes-Evangeliums bzw. seiner Lutherschen Übersetzung. Sie radikalisiert diesen noch, indem sie Sprache und Ursprung in Beziehung zueinander bringt. Ursprung des Menschen, wie sich im Untertitel zeigt("Wie der Mensch die Sprache erfand und dadurch zum Menschen wurde"), der die Radikalisierung sozusagen kanalisiert, während ja die Logos-Passage sich auf den Anfang allen Seins bezieht und den hervorgehen läßt aus Gott, der der Logos selbst ist.
Was bemerkenswert beginnt, wird aber im Untertitel entweder undeutlich oder zu einer ironischen Geste. Einmal ist ja schon klärungsbedürftig, was Erfindung der Sprache durch den Menschen heißt. Ist der Mensch schon Mensch, als er Sprache erfindet, dann kann er nicht erst dadurch zum Menschen werden. Oder ist der erste Begriff "Mensch" ein anderer als der zweite. Und was soll das für ein "Mensch" sein, der noch nicht "Mensch" ist, aber "Sprache" erfinden kann, durch die er dann "Mensch" wird. "Schon als Tier hat der Mensch Sprache", beginnt Herders Ursprungsabhandlung, was um ein Vielfaches bedeutungsvoller ist als dieser entweder in sich widersprüchliche oder nur so dahingeplauderte Untertitel..
Den Haupttext "Stimmen aus der Steinzeit" hat Gerald Traufetter geschrieben. Er ist nach Art sogenannter Sachbücher illustriert und enthält in seinem Untertitel außer ‚spannenden' Fragen die Behauptung, "Hirnforscher, Paläoanthropologen und Genetiker" hätten "bei der Suche nach dem Ursprung der Sprache" "erstaunliche Entdeckungen" gemacht. Auch hier fällt wieder der Gestus unumstößlicher Sicherheit auf. Es geht nicht um Hypothesen und Thesen, sondern um Gewißheiten. Diese Gewißheiten stehen einmal, wie es heutzutage weniger in wissenschaftlichen, wohl aber in wissenschaftspublizistischen Texten der Fall ist, mit älteren Erwägungen oder Forschungen in keinem Zusammenhang mehr. Es ist die Weise des Ahistorischen, das eine beherrschende Form alltagssprachlichen Denkens ist: Alles beginnt mit meiner Geburt und was davor, ja selbst was daneben ist, kümmert mich nicht.
Zum anderen treten solche Gewißheiten bzw. ihre publizistische Darstellung gleichzeitig als solche endgültiger Art auf. Das bekannteste neue Modell war Fukuyamas These vom Ende der Geschichte, eine absurde, aber für ein paar Jahre gerngeglaubte These. Analog dazu werden so schlicht gedachte Thesen wie die vom "Big Bang" oder von den "schwarzen Löchern" als wissenschaftliche Endgültigkeiten vorgestellt, obwohl doch allgemeine Geschichte wie Wissenschaftsgeschichte einzig die Gewißheit der Ungewißheit und die Unveränderlichkeit des Veränderlichen lehren, von denen nur das Fundamentale des Überhistorischen, das man seit geraumer Zeit Struktur nennt, ausgenommen zu sein scheint.
Ganz gewiß gehört dazu an erster Stelle die Sprache. Denn was immer wir behaupten, sehen, erfahren ,erforschen, erkennen, verstehen, auch übrigens empfinden und fühlen, es setzt Sprache nicht nur als Medium voraus, sondern ist im Kern sprachlich, läßt also nicht zu, ein ‚Außerhalb' zu thematisieren. Einzig ob wir das im Sinne Nietzsches und Mauthners als Gefangenschaft bedauern oder im Sinne Hamanns, Herders und Humboldts als unsere Lebensmöglichkeit begreifen, ist kontrovers.
Während aber ein Großteil des Sprachdenkens seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts (etwa Karl Kraus, Benjamin, Rosenstock-Huessy, Liebrucks, Lohmann, aber auch Heidegger, Gadamer und z.T. Wittgenstein) begriffen hat, daß, sprechen wir von Sprache, die uns geläufige positivistische Vergegenständlichung nicht einmal mehr heuristisch zulässig ist, belassen es viele Linguisten, Biologen, Hirnforscher dabei, diese Vergegenständlichung weiter zu praktizieren und sich dadurch einem Erkenntniszirkel auszusetzen. Denn die notwendig sprachliche Untersuchung der Sprache und ihrer Spezifica prägt bewußt oder unbewußt die Methoden der Untersuchung und kann, ins Subjekt-Objekt-Schema gepreßt, nur zu ständigen Verkürzungen und Verfälschungen führen.
Der "Spiegel"-Artikel ist von diesem positivistischen Modell des 19. Jahrhunderts geprägt. Man mißt, man registriert, man beschreibt, man zieht Schlüsse daraus. Damit ist man schon innerhalb eines Denkens bzw. eines Sprachgebrauchs, die vom "Instrument des Bewußtseins", vom "Werkzeug der Intelligenz"- soweit die Metaphorik von Sprachforschern - und dann von der "Trägerrakete für den rasanten Aufstieg des Menschen zum beherrschenden Wesen des Planeten" sprechen lassen, womit wir beim "Spiegel"-Jargon angekommen sind. Diese Instrument-Metaphorik behauptet eine völlig unverständliche Abfolge oder Kausalität von Bewußtsein und Sprache, obwohl es doch unmöglich ist, menschliches Bewußtsein ohne Sprache sich vorzustellen, also ein bedeutungsgenerierendes Vermögen ohne das, was Bedeutungen artikulierend generiert. Wird heute von tierischem Bewußtsein gesprochen, so findet nichts anderes statt als eine sprachliche Analogiebildung. Wir verwenden den Begriff Bewußtsein etwa in der Weise, wie wir von der ‚Sprache des Affen' beispielsweise sprechen, obwohl der im Artikel zitierte und später befragte Linguist Derek Bickerton hervorhebt, daß das "antrainierte Sprachvermögen des Affen" "etwas völlig anderes [sei]als unsere Form der Sprache". "Unsere Form der Sprache" ist aber die Sprache, insofern sie alles, was für uns ist, nicht nur perspektiviert, sondern geradezu konstituiert.
Der Artikel will uns aber eine Linearität der Sprachevolution weis machen, die in der Lehre von der Evolution selbst mehr und mehr bestritten wird, so daß hier anstelle von Linearität, Konsequenz, ja Teleologie nun von Aleatorik und Zufall die Rede ist. Dabei muß freilich berücksichtigt werden, daß beides wieder sprachliche Entwürfe. sind.
Immerhin kommt mit Wilhelm von Humboldt an einer Stelle ein wirklicher Spachdenker zu Wort, der gesagt hat: "Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber Sprache zu erfinden, müßte er schon Mensch sein". Das macht klarer als die hier spiegelsprachlich vorgeführten Forschungsansätze, warum es unmöglich ist, Sprache als einen Gegenstand wie alle anderen zu behandeln. Aber es ist kennzeichnend, daß weder der Schreiber des Artikels noch das gängige Bewußtsein, auch nicht das der Sprachforscher daraus etwas lernt. Vielmehr hat man den Eindruck eines geradezu beängstigenden Nachlassens intellektueller Fähigkeiten, das wahrscheinlich mit dem hemmungslosen Vertrauen in apparativ ermittelte Erkenntnisdaten zu tun hat. So wird die nicht neue Theorie von der Analogie individueller und kollektiv-menschlicher Bewußtseins- und Sprachbildung, die ja durchaus einen metaphorischen Charme hat, zum Beweisstück für das Entstehen der Sprache erhoben. Der Witz ist nur, daß dem Baby, das sich sprachlich entwickelt, Milliarden Sprecher vorausgehen, so daß man auch im Laufe des Artikels etwas hört von "Sprachinstinkt", "angeborenem Sprachtalent des Gehirns" und gar von einem "genetischen Gerüst" zur Sprachaneignung. Man wüßte nun gern, wie solche Vorstellungen kompatibel zu machen sind mit jenem ‚ersten Sprecher', der entweder über all das (noch) nicht verfügte oder aber, hätte er darüber schon verfügt, fragen ließe, warum erst er zu sprechen begonnen habe.
Aber schon ist man wieder bei anderem, nämlich bei der hunderttausendjährigen Entwicklung vom Vormenschen zum homo sapiens als ‚allmählicher Verfertigung der Sprache beim Grunzen'. Hinter dieser Entwicklung kann man sich immer hübsch verstecken . Während derer geht es um Körperbau , anatomische Veränderung, aufrechten Gang, neuerdings ist auch noch der Genuß von Fleisch hinzugekommen, also alles Momente, die vielleicht bessere Artikulation möglich gemacht, aber mit dem Hervortreten der Sprache nur randhaft etwas zu tun haben. Denn da sind wir wieder beim Bewußtsein, das nicht ohne Sprache zu denken ist, und bei der Sprache, die schon Bewußtsein, voraussetzt. Und da weiß der Verfasser nur vorzutragen, daß der Faustkeil auf abstraktes Denken (als Voraussetzung von Sprache) und die Höhlenmalerei auf symbolisches Denken (als Voraussetzung für Sprache) hinweise, obwohl man gern wüßte, was beides ohne Sprache bedeuten soll und wie beides zusammenhänge in der Sprache. Aber es ist sowieso alles noch gar nicht ausgemacht, wird uns mittendrin mitgeteilt, denn "für eine umfassende Theorie über die Entstehung der Sprache ist es...noch zu früh". Nein, solange man nicht wieder auf die Ebene von Humboldt und anderen kommt und wieder anfängt, Sprache nicht zu vermessen , sondern zu denken , wird gelten: Ignoramus, ignorabimus. Und die gelebte Sprache wird "Quasselei" bleiben, wie sie der "Spiegel" präsentiert und mit welcher Vokabel der Verfasser wider Willen seine und die referierten Bemühungen um die Sprache auf vernichtende Weise charakterisiert.