Zur Lage der Nation
Bemerkungen zur Sprache, Literatur, Kultur, Politik und
zu den Medien in Deutschland
Herausgegeben von Helmut Arntzen

Nummer 30 (März 2012)




INHALT: VON DER LITERATUR: Lyrik der Romantik kommentiert, 2. Teil – VON DER ÖFFENTLICHKEIT: Anthropologisches – Ein gutes Buch: E. Seitz, Die Verfeinerung der Deutschen. Eine andere Kulturgeschichte[Rez.] - Die Polizei – Deutsche Welten - Von der Demokratie – Und Europa ? - Und die Welt? – Und Deutschland ?




VON DER LITERATUR

Lyrik der Romantik kommentiert. 2. Teil


Die zweite Sequenz enthält Gedichte der Hochromantik aus den Jahren 1809 bis 1820. Darin begegnen die Gedichte, die vor allem als romantische gelesen werden. Was gilt als dieses Romantische? Sicherlich eine Anzahl von Topoi, von Worten, die bestimmte Naturvorstellungen evozieren: Mond und Sterne, Wald und Fluß, Berge und Täler etc. etc. Dazu andere Worte, die bestimmte Subjektivitätsvorstellungen bedeuten, die zu jenen in Beziehung gesetzt werden: durch Wortakzent, durch Reim, durch Metrum.
Die Subjektivität, die nun wieder v.a. als Individuum, als Ich erscheint, wird durch Innerlichkeitsvorstellungen oder durch Wirklichkeitsvorstellungen auf jene Naturvorstellungen bezogen. Nennen wir zwei Schlagworte: durch Sehnsucht und durch Bewegung als Wandern und Fahren. Aber ganz gleich, ob es sich um Imagination oder Realisation handelt, immer geht es darum, den gegenwärtigen Status der Subjektivität zu verlassen oder zu verändern. Das andere, für das die Naturvorstellungen stehen, ist in den hochromantischen Gedichten das Ersehnte.
Nun spielen die Kategorien Sehnsucht und Bewegung auch eine große Rolle in der romantischen Erzählung. Aber diese Erzählung, wir erwähnten es schon, drängt selbst immer wieder zum Gedicht. Und das Gedicht 'realisiert' auf imaginäre Weise das, wovon die Prosa nur erzählen kann.
Die beiden ersten Gedichte stellen je eine der Kategorien für sich aus. Sie sind beide von Achim von Arnim (1781-1831), dem literarischen und menschlichen Weggefährten Clemens Brentanos, mit dem zusammen er 1805 bis 1808 die Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn" herausgab.
Das erste Gedicht spricht allerdings von Sehnsucht als Liebessehnsucht, das zweite läßt die Bewegung, das Reiten auch auf die Geliebte zielen. Doch haben in ihm Naturvorstellungen eine wichtige Funktion. Das eine ist von 1810, das zweite entstand erst 1820.

MIR IST ZU LICHT ZUM SCHLAFEN

	Mir ist zu licht zum Schlafen,
Der Tag bricht in die Nacht,
Die Seele ruht im Hafen,
Ich bin so froh erwacht!

	Ich hauchte meine Seele
Im ersten Kusse aus,
Was ist's, daß ich mich quäle,
Ob sie auch fand ein Haus!

	Sie hat es wohl gefunden,
Auf ihren Lippen schön,
O welche sel'ge Stunden,
Wie ist mir so geschehn!

	Was soll ich nun noch sehen,
Ach alles ist in ihr,
Was fühlen, was erflehen,
Es ward ja alles mir!

	Ich habe was zu sinnen,
Ich hab', was mich beglückt;
In allen meinen Sinnen
Bin ich von ihr entzückt.


RITT IM MONDSCHEIN

	Herz zum Herzen ist nicht weit
Unter lichten Sternen,
Und das Aug', von Tau geweiht,
Blickt zu lieben Fernen;
Unterm Hufschlag klingt die Welt,
Und die Himmel schweigen,
Zwischen beiden mir gesellt
Will der Mond sich zeigen.

	Zeigt sich heut in roter Glut
An dem Erdenrande,
Gleich als ob mit heißem Blut
Er auf Erden lande,
Doch nun flieht er scheu empor,
Glänzt in reinem Lichte,
Und ich scheue mich auch vor
Seinem Angesichte. -


Brentanos Lureley-Gedicht (Erstdruck postum 1846; Strophe 1 und 3 wahrscheinlich bereits 1806 entstanden) gehört in die „Rheinmärchen" und ist Teil einer längeren lyrischen Folge von Rollengedichten, die jeweils von einer Chorstrophe unterbrochen werden. Der Name Ameleya weist besonders deutlich auf die Funktionalität hin. Sehnsucht und Bewegung sind in diesem Gedicht in der Melodik aufgehoben.

LURELEY

Singet leise, leise, leise,
Singt ein flüsternd Wiegenlied,
Von dem Monde lernt die Weise,
Der so still am Himmel zieht.

Denn es schlummern in dem Rheine
Jetzt die lieben Kindlein klein,
Ameleya wacht alleine
Weinend in dem Mondenschein.

Singt ein Lied so süß gelinde,
Wie die Quellen auf den Kieseln,
Wie die Bienen um die Linde
Summen, murmeln, flüstern, rieseln.

Sehr viel einfacher und direkter ist eines der bekanntesten Wanderlieder der Romantik, in dem ein ganzes Lexikon der entsprechenden Topoi versammelt ist und schließlich das andere in das nahe Vertraute zurückverwandelt wird. Das Gedicht schrieb
Justinus Kerner (1786-1862), einer der populären romantischen Dichter. Ihnen schließe ich gleich zwei Gedichte von Ludwig Uhland an (1787-1862), der einer der ersten Professoren für Germanistik wurde und 1848 Abgeordneter der Nationalversammlung war. Uhlands Lieder sind als Volkslieder konzipiert und als Volkslieder rezipiert worden. In diesen drei Liedern, entstanden 1809, 1811 und 1812, sind Wandern und Sehnsucht die leitenden Vorstellungen.

WANDERLIED

Wohlauf! noch getrunken
Den funkelnden Wein!
Ade nun, ihr Lieben!
Geschieden muß sein.
Ade nun, ihr Berge,
Du väterlich Haus!
Es treibt in die Ferne
Mich mächtig hinaus.

Die Sonne, sie bleibet
Am Himmel nicht stehn,
Es  treibt sie, durch Länder
Und Meere zu gehn.
Die Woge nicht haftet
Am einsamen Strand,
Die Stürme, sie brausen
Mit Macht durch das Land.

Mit eilenden Wolken
Der Vogel dort zieht
Und singt in der Ferne
Ein heimatlich Lied.
So treibt es den Burschen
Durch Wälder und Feld,
Zu gleichen der Mutter,
Der wandernden Welt.

Da grüßen ihn Vögel
Bekannt überm Meer,
Sie flogen von Fluren
Der Heimat hierher;
Da duften die Blumen
Vertraulich um ihn,
Sie trieben vom Lande
Die Lüfte dahin.

Die Vögel, die kennen
Sein väterlich Haus.
Die Blumen einst pflanzt' er
Der Liebe zum Strauß,
Und Liebe, die folgt ihm,
Sie geht ihm zur Hand:
So wird ihm zur Heimat
Das ferneste Land.


ABREISE

So hab ich nun die Stadt verlassen,
Wo ich gelebet lange Zeit;
Ich ziehe rüstig meiner Straßen,
Es gibt mir niemand das Geleit.

Man hat mir nicht den Rock zerrissen,
Es wär auch schade für das Kleid!
Noch in die Wange mich gebissen
Vor übergroßem Herzeleid.

Auch keinem hat's den Schlaf vertrieben,
Daß ich am Morgen weitergeh;
Sie konnten's halten nach Belieben,
Von einer aber tut mir's weh.


FRÜHLINGSGLAUBE

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.


Joseph Freiherr von Eichendorff lebte von 1788 bis 1857. Er wurde zum Inbegriff des romantischen lyrischen Dichters, aber auch mit der Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts" zum Inbegriff des romantischen Erzählers. Das erste Gedicht („Frische Fahrt") von dreien hat einen thematischen Bezug zu Uhlands „Frühlingsglaube", vor dem es entstanden ist. Aber anders als dort werden Sehnsucht selbst und Bewegung als Erfüllung der Sehnsucht im gleichen Gedicht evoziert. Und ganz anders als in Kerners „Wanderlied" kommt die Bewegung nicht zum Ziel.
Der zweite Text ist ein Sonett. In ihm ist Sehnsucht kein Status mehr, der auf äußere Bewegung drängt, sondern die unerfüllte Erfüllung, die als ein Spezifikum der Romantik gilt.
Das dritte hat die charakteristische Überschrift „Zwielicht". Die Naturtopoi erhalten nun eine ganz andere Funktion denn als Bezugsorte für Sehnsucht und Bewegung. Sie deuten auf Gefahr. Der Lyriker Eichendorff zeigt, daß durch eine geringe verbale Verschiebung sich die Bedeutung der Naturvorstellungen völlig verändern kann. Und von der dritten Strophe an werden die Naturvorstellungen zugunsten thetischer und appellativer Aussagen verdrängt.
Alle drei Gedichte sind zwischen 1808 und 1811 entstanden und gehören in den Roman „Ahnung und Gegenwart" (1815).

FRISCHE FAHRT

	Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frühling soll es sein!
Waldwärts Hörnerklang geschossen,
Mut'ger Augen lichter Schein;
Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magisch wilder Fluß,
In die schöne Welt hinunter
Lockt dich dieses Stromes Gruß.

	Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend schlagen,
Hoch Aurora 1 flammend weht,
Fahre zu! ich mag nicht fragen,
Wo die Fahrt zu Ende geht!



Ein Wunderland ist oben aufgeschlagen,
	Wo goldne Ströme gehn und dunkel schallen,
	Gesänge durch das Rauschen tief verhallen,
Die möchten gern ein hohes Wort dir sagen.

Viel goldne Brücken sind dort kühn geschlagen,
	Darüber alte Brüder2  sinnend wallen –
	Wenn Töne wie im Frühlingsregen fallen,
Befreite Sehnsucht will dorthin dich tragen.

Wie bald lag unten alles Bange, Trübe,
	Du strebtest lauschend, blicktest nicht mehr nieder,
	Und höher winkte stets der Brüder Liebe:

Wen einmal so berührt die heil'gen Lieder,
	Sein Leben taucht in die Musik der Sterne,
	Ein  ewig  Ziehn in wunderbare Ferne!


ZWIELICHT

	Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken ziehn wie schwere Träume –
Was will dieses Graun bedeuten?

	Hast ein Reh du, lieb vor ändern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger ziehn im Wald und blasen,
Stimmen hin und wieder wandern.

	Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug und Munde,
Sinnt er Krieg im tück'schen Frieden.

	Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren.
Manches bleibt in Nacht verloren –
Hüte dich, bleib wach und munter!


Brentanos Gedicht, mit dem wir diese Sequenz abschließen, ist mit dem Datum 25. August 1817 überschrieben und für die Freundin Luise Hensel entstanden. Er hat es 1834 für Emilie Linder bearbeitet und erweitert.
Auch hier ist Bewegung das entscheidende Motiv, aber nicht mehr die des Wanderns und Fahrens, sondern die des Untergehens. Die Beziehung wird noch einmal evoziert im „Ich" und im „Stern", dem immer wieder aufgerufenen Symbol der Natur nicht nur, sondern eines Ganzen, mit dem das Ich sich aber nicht vereint, auf das es aber auch nicht mehr gesichert seine Sehnsucht richten kann.
Aus den Vorstellungen der Romantik selbst bricht nun die Gefahr.


25. AUGUST 1817

Einsam will ich untergehn
Keiner soll mein Leiden wissen,
Wird der Stern, den ich gesehn
Von dem Himmel mir gerissen
Will ich einsam untergehn
Wie ein Pilger in der Wüste.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Pilger in der Wüste,
Wenn der Stern, den ich gesehn
Mich zum letzten Male grüßte
Will ich einsam untergehn
Wie ein Bettler auf der Heide.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Bettler auf der Heide,
Gibt der Stern, den ich gesehn,
Mir nicht weiter das Geleite
Will ich einsam untergehn
Wie der Tag im Abendgrauen.

Einsam will ich untergehn
Wie der Tag im Abendgrauen,
Will der Stern, den ich gesehn
Nicht mehr auf mich niederschauen,
Will ich einsam untergehn
Wie ein Sklave an der Kette.

Einsam will ich untergehn
Wie der Sklave an der Kette,
Scheint der Stern, den ich gesehn
Nicht mehr auf mein Dornenbette
Will ich einsam untergehn
Wie ein Schwanenlied im Tode.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Schwanenlied im Tode,
Ist der Stern, den ich gesehn
Mir nicht mehr ein Friedensbote
Will ich einsam untergehn
Wie ein Schiff in wüsten Meeren.

Einsam will ich untergehn
Wie ein Schiff in wüsten Meeren,
Wird der Stern, den ich gesehn
Jemals weg von mir sich kehren,
Will ich einsam untergehn
Wie der Trost in stummen Schmerzen.

Einsam will ich untergehn
Wie der Trost in stummen Schmerzen,
Soll den Stern, den ich gesehn
Jemals meine Schuld verscherzen,
Will ich einsam untergehn
Wie mein Herz in deinem Herzen.

Die letzte Sequenz enthält Gedichte aus den Jahren 1823 bis 1839, es ist die Zeit der Spätromantik. Ist dies nicht die Zeit der bloßen Epigonalität? Auf den ersten Blick scheinen sich tatsächlich die Motive und Themen der Hochromantik zu wiederholen und damit schematisch zu werden.
Aber eine solche Betrachtung verkennt, wie stark die in der Hochromantik sich schon manifestierende Gefahr empfunden wird. Es ist eine Gefahr, die mit der Aufgabe der frühromantischen These von Ganzem und Einzelnem bereits beginnt. Subjektivität ist in der Hochromantik ja wieder an das Ich, an das Individuum gebunden, das sich im Sehnsuchts- und Bewegungsbezug zur Natur zu erweitern sucht. Aber Sehnsucht und Bewegung werden ziellos, Natur verfremdet sich zur gefährlichen Natur.
Die spätromantische Lyrik begegnet dem auf zweierlei Weise: Durch die Simplifizierung der Form, mittels deren sie das Gefährliche der Semantik verkapselt. Das zeigt sich in den Liedern Wilhelm Müllers, v.a. denen der „Winterreise", die Schubert in ihrem Gefährlichen entdeckte. Oder aber durch die Transponierung der romantischen Zusammenhänge von Natur- und Subjektivitätstendenzen in die erinnerte Vergangenheit, wie das beim späten Eichendorff geschieht.
Wilhelm Müller (1794-1827) schrieb Liederzyklen, so „Die schöne Müllerin", „Lieder der Griechen" und eben die „Winterreise".
Die beiden Lieder aus der „Winterreise", 1823 zum ersten Mal gedruckt, heißen „Der Leiermann" und „Der Wegweiser". Sie sind, wie gesagt, formal völlig unauffällig, obwohl bei näherem Zusehen der eingeschliffene Rhythmus des ersten sehr wohl das sinnlos Repetitive der Leier bedeutet. Aber beide stellen, wenn auch verhalten, die Gefahr dar, die der losgelassenen Subjektivität erwächst: Wahnsinn und Tod als vernichtendes Ende.


DER LEIERMANN

Drüben hinterm Dorfe Steht ein Leiermann, Und mit starren Fingern Dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise , Schwankt er hin und her; Und sein kleiner Teller Bleibt ihm immer leer. Keiner mag ihn hören, Keiner sieht ihn an; Und die Hunde brummen Um den alten Mann. Und er läßt es gehen Alles, wie es will, Dreht, und seine Leier Steht ihm nimmer still. Wunderlicher Alter, Soll ich mit dir gehn? Willst zu meinen Liedern Deine Leier drehn? DER WEGWEISER Was vermeid ich denn die Wege, Wo die andren Wandrer gehn, Suche mir versteckte Stege Durch verschneite Felsenhöhn? Habe ja doch nichts begangen, Daß ich Menschen sollte scheun - Welch ein törichtes Verlangen Treibt mich in die Wüstenein? Weiser stehen auf den Straßen, Weisen auf die Städte zu, Und ich wandre sonder Maßen, Ohne Ruh, und suche Ruh. Einen Weiser seh ich stehen Unverrückt vor meinem Blick; Eine Straße muß ich gehen, Die noch keiner ging zurück.
Die folgenden drei Gedichte Eichendorffs „Der Abend" (1826), „Sehnsucht" (1834) und „Der alte Garten" (1839) sind wieder Stücke aus erzählerischer Prosa: aus der „Taugenichts"-Novelle, aus dem Roman „Dichter und ihre Gesellen" und aus „Die Entführung".
Die Eichendorffschen Topoi und Motive begegnen auch hier. Aber sie sind sozusagen 'entrückt'. Das Abendgedicht nennt als Bezugspunkt „alte Zeiten", in dem Gedicht „Sehnsucht" ist nicht mehr ein aktualer innerer Bezug zur Natur, auch nicht mehr ein Bezug auf Vorausliegendes intendiert. Sehnsucht ist hier erinnerte Sehnsucht, Bewegung ist erinnertes Wandern, Natur ist erinnerte Natur.
Und ebenso ist es in dem Gedicht „Der alte Garten", das Vergangenheit als stillgestellte, verzauberte Zeit evoziert.


DER ABEND

	Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.


SEHNSUCHT

	Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!


	Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.


	Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am  Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.-


DER ALTE GARTEN

	Kaiserkron und Päonien rot,
Die müssen verzaubert sein,
Denn Vater und Mutter sind lange tot,
Was blühn sie hier so allein?

	Der Springbrunnen plaudert noch immerfort
Von der alten schönen Zeit,
Eine Frau sitzt eingeschlafen dort,
Ihre Locken bedecken ihr Kleid.

	Sie hat eine Laute in der Hand,
Als ob sie im Schlafe spricht,
Mir ist, als hätt ich sie sonst gekannt –
Still, geh vorbei und weck sie nicht!

	Und wenn es dunkelt das Tal entlang,
Streift sie die Saiten sacht,
Da gibt's einen wunderbaren Klang
Durch den Garten die ganze Nacht.

Das tief Resignative der Spätromantik erscheint in Eichendorffs Gedicht „Zum Abschied" (entstanden 1839), das äußerlich nur den Reiseabschied von seiner Tochter festhält, aber sehr deutlich bis hin zu der Metapher „stilles Haus" den Abschied als 'kleinen Tod' bestimmt, der den Lebensabschied vorwegnimmt. In der letzten Strophe sucht Eichendorff Natur, hier die Wälder, noch einmal als das Sicherheit und Geborgenheit Schenkende aufzunehmen.


ZUM ABSCHIED

	Der Herbstwind schüttelt die Linde,
Wie geht die Welt so geschwinde!
Halte dein Kindlein warm.
Der Sommer ist hingefahren,
Da wir zusammen waren -
Ach, die sich lieben, wie arm!

	Wie arm, die sich lieben und scheiden!
Das haben erfahren wir beiden,
Mir graut vor dem stillen Haus.
Dein Tüchlein noch läßt du wehen,
Ich kann's vor Tränen kaum sehen,
Schau still in die Gasse hinaus.

	Die Gassen schauen noch nächtig,
Es rasselt der Wagen bedächtig -
Nun plötzlich rascher der Trott
Durchs Tor in die Stille der Felder
Da grüßen so mutig die Wälder,
Lieb Töchterlein, fahre mit Gott!

Ein spätes Gedicht Brentanos von 1838 aus dem Märchen „Gockel, Hinkel und Gackeleia" soll den Abschluß dieses Kapitels bilden. Es ist als programmatisches Gedicht für Brentanos Dichtung, ja für die der Romantik gelesen worden. Die beiden Schlußzeilen bestehen nur aus der emphatischen Nennung von acht Worten. Sie sollen den Sinn der Romantik bewahren, und sie machen darauf aufmerksam, daß dies nur sprachlich geschehen kann.


Was reif in diesen Zeilen steht,
Was lächelnd winkt und sinnend fleht,
Das soll kein Kind betrüben,
Die Einfalt hat es ausgesät,
Die Schwermut hat hindurchgeweht,
Die Sehnsucht hat's getrieben;
Und ist das Feld einst abgemäht,
Die Armut durch die Stoppeln geht,
Sucht Ähren, die geblieben,
Sucht Lieb', die für sie untergeht,
Sucht Lieb', die mit ihr aufersteht,
Sucht Lieb', die sie kann lieben,
Und hat sie einsam und verschmäht
Die Nacht durch dankend in Gebet
Die Körner ausgerieben,
Liest sie, als früh der Hahn gekräht,
Was Lieb' erhielt, was Leid verweht,
Ans Feldkreuz angeschrieben,
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb', Leid und Zeit und Ewigkeit!


Anmerkungen:

1 Aurora: die Morgenröte
2 alte Brüder: Mönche


VON DER ÖFFENTLICHKEIT

Anthropologisches

Hundertmal ist gesagt worden, was hunderttausendfach überhört wurde: daß nämlich die Welt betrogen sein wolle, daß der Schwindel, also Beschwindlung und Schwindler, das einzige seien, was in der Welt zähle. Aber es nützt gar nichts. Selbst der Teil der Welt, der vom Schwindel allein, also vom Geld lebt, tut so, als gehe es ihm um anderes, nämlich um die(sogenannten) höchsten Werte der Menschheit. Das einzig hat sich vielleicht geändert, daß, je mehr vom Glück, vom Frieden, von der Wahrheit und sonstigen schönen Dingen die Rede ist, Unglück, Unfrieden, Unwahrheit herrschen. Die Verwandlung der Welt als Sprache in die Welt als Schwindel, also als Reklame, ist das Wunder vor unseren Augen, das aber eine Menschheit, die doch alles glaubt, ob es nun mehr sozialistisch oder mehr kapitalistisch tönt, nicht stört.
Rackern die Massen in den Ländern, die als Entwicklungsländer bezeichnet werden, obwohl sich da gar nichts entwickelt außer dem Schwindel, so sind die entwickelten Ländern, also die, die sich dem Schwindel als Norm angepasst haben, zwar befreit vom Rackern, aber dafür gesegnet durch die Dschungel des Schwindels, von denen sie behaupten, sie könnten sie nicht durchschauen, obwohl sie sie nicht durchschauen wollen. Diese Stufe ganzheitlicher Dummheit haben die Rackernden noch vor sich, ob sie nun in Afrika, China, Südamerika oder in Nordkorea rackern. Doch werden sie nie, wie die entwickelten Länder zeigen, den irgend einmal erreichten Status des Schwindels hinter sich bringen, denn der wird ihnen als der des Glücks, des Friedens und der Wahrheit im wörtlichsten Sinne verkauft werden, wenn sie sich nicht durch Revolutionen, die sie bitter bezahlen müssen, an die Menschenrechte herangepirscht haben, um sich zwischen Hitler und Fidel einzurichten, die ihnen vom Volk schwärmen, welches die sind, die im Beschwindeltwerden und in der Selbstbeschwindlung vegetieren.
Warum ist das so? Weil m’r alle Menschen sind, also Unmenschen , was auch bloß eine Possenerkenntnis ist und darum bei Onkeln und Tanten und sonstigen Verwandten wenig gilt.
Aber haben wir nicht alle einen Kopf? Ja, doch hat der nur die Funktion, Haus und Garten in Ordnung zu halten, wogegen allerdings noch die verstoßen, die innerhalb und außerhalb von jenen ihren Dreck präsentieren, obwohl sie doch auch einen Kopf hatten, den sie aber mit dem anderen Dreck weggeschmissen haben. Dies sind zwischen 95 und 99 % in den entwickelten Ländern. Es bleiben fünf bis ein Prozent, die in Verbände und Vereine gehen und sich verantwortlich fühlen. Dort vermehren sie das Gerede, indem sie es zumeist wiederholen.
So bleiben schließlich etwa 0,01 %, die sich, nehmt alles nur in allem, annähernd so viele Gedanken machen, wie ein Leser von Kants „Zum ewigen Frieden“ sich machen muß, um einigermaßen zu verstehen, was Kant sich (als Repräsentant der Wahrheit) dachte.

Ein gutes Buch
(Erwin Seitz: Die Verfeinerung der Deutschen. Eine andere Kulturgeschichte. Berlin: Insel 2011) [Rez.]

„Amazon“ schreibt unter „Produktbeschreibungen“ im Internet lobende „Pressestimmen“ ab, die von Reiner Veit, Brigitte Lichtenberger-Fenz, Michael Schikowski und vielen anderen Beurteilern stammen und auf das „tolle Buch“ von Erwin Seitz zielen. Das heißt „Die Verfeinerung der Deutschen“ und behauptet durch ihren Autor „eine andere Kulturgeschichte“ zu sein. Anders also denn Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“, die das Interessanteste ist, was wir unter diesem oder ähnlichem Titel bisher haben, das Seitz aber gar nicht nennt. Sein Buch ist im Insel-Verlag erschienen, einem beachtlichen Verlag, heute ein Nebenhaus des Suhrkamp-Verlages. Und die Buchhandlungen lassen durch ihre lesenden Händler sagen, dies sei ein gutes Buch.
Im Einleitungskapitel schreibt Seitz einen Abschnitt unter dem Titel „Eine Sache der Verfeinerung“ und hat damit schon alles gesagt, was er meint, sagen zu müssen. Es geht ihm um „gute Lebensart“, die des Näheren wieder eingeschränkt wird auf das Essen bei „Tantris“ und Konsorten, also gar nichts mit „Geschichte“ zu tun hat, sondern allein damit, was sich deutsche Esser heutzutage auf den Teller tun bzw. tun sollten. Aber der Verfasser ist gebildet und kennt ‚seinen’ Petrarca, der schon 1333 Angenehmes über die Deutschen gesagt habe, und zwar über die deutschen Frauen. Zwei Seiten weiter ist Seitz schon bei der „Kultur der Städte“, die wiederum vor allem Gastronomie sei und den „Schwarzsehern und Misanthropen“(S.13) gegenübergestellt wird. Und auf Seite 17 ist er bei „Autorität und Freiheit“, auf die alle menschlichen Lebensformen hinausliefen, also darauf , ob Hühnchen gerupft oder gegessen werden. Für den „Helden“ sei die Welt einfach. Und für den Esser nicht? Doch, sagt Seitz, aber es gehe eben um beides. Aber warum dann die 750 Seiten?
Um solcherlei Widersprüche kümmert sich der Verfasser gar nicht erst, denn er hat ja schon früh die Gegensätze herauspräpariert, etwa Dorf und Stadt, etwa Luther und Erasmus, etwa Friedrich der Große, der bei ihm nur der Zweite ist, und Lessing. Luther „stellte die Zustände der Epoche schlimmer dar, als sie waren“, weiß Seitz (S. 62). Und er höhnt, daß die „Bankiers und Frühkapitalisten unter den Kaufleuten die Schlimmsten“ für Luther waren (S.66), was angesichts unserer heutigen Lage besonders pikant ist und Josef Ackermann wohl freuen wird. In diesem Zusammenhang kommt Seitz zu dem einsichtigen Schluß: „Offenbar gehört der Kulturpessimismus zum Kulturoptimismus dazu“ (S.68). Und er nennt Max Weber.
Seitz hängt dem Ganzen ein Anmerkungsverzeichnis von über 30 Seiten an, das in sich hübsch ist, insofern er Bedeutendes und Zufälliges nebeneinander stellt, aber auch Zitiertes mal nachweist und mal nicht.
Dann gibt er bspw. Anweisungen für einen Koch. Aber was soll das in einer Kulturgeschichte?
Und wenn er gerade noch von Karl dem Großen und Ludwig dem Deutschen gesprochen hat, ist er nun beim Hotel Bischofshof in Regensburg, wo sich „Gasträume und Säle mit hölzernem Boden“ finden und wo es „Schweinsbraten mit einem Stück vom Kamm“ gibt, „dem saftigsten schmackhaftesten Stück vom Schwein überhaupt“(S.188). Damit ist er beim Schwein und kurz darauf beim „so genannten Althochdeutschen“ (S. 189 ),wo man sich ‚reingehängt’ hat, wie Seitz bemerkt. Gehört das in einer Kulturgeschichte zusammen?

Wenn „die Speisekarte des …Bischofshofs…. eine Art von kulinarischer Denkmalspflege dar“stellt und von „Herbert Schmalhofer“, dem „Chef“, gesagt wird, daß es „ein Segen“ ist, wenn sich bei ihm „Kenntnisse der internationalen Hochküche mit der Achtung vor national-regionalen Gerichten verbinden“(S.191), dann weiß man , daß Urteile über Luther und Friedrich den Großen und Einführungen in die heutige Gastronomie einer Stadt natürlich zusammengehören und bekommt das von kundigen Kennern wie etwa von Brigitte Lichtenberger-Fenz bestätigt.
Über das Mittelalter, sagen wir bis zu Friedrich Barbarossa, berichtet Seitz noch einigermaßen kontinuierlich. Danach wird es bunt. Nun geht es um Nürnberg . 1256 wird als „feiner Moment in der deutschen Geschichte“ hervorgehoben, denn es ist das Jahr , in der die „konsularische Verfassung“ in Nürnberg formell erscheint, „während das Heilige Römische Reich zu einer Phantasmagorie“ werde (S. 329). Das heißt Heinrich VI., Friedrich II. und die weiteren Könige haben wenig bis nichts zu melden. Das zwanzigjährige Interregnum Ende des 13. Jahrhunderts wird gar nicht genannt. Auch Rudolf von Habsburg und seine Nachfolger nur beiläufig. Daß darunter auch Karl IV. mit einer über dreißigjährigen Regierungszeit ist, ein bedeutender Diplomat und Staatsmann Mitte bis Ende des 14. Jahrhunderts, daß es die Zeit der Pest ist, bedeutet für die Kultur nach Seitz wenig bis nichts. Dann kommen Wenzel und der lang regierende Kaiser Friedrich III. Auch sie werden kaum genannt. Damit sind wir am Ende des 15. Jahrhunderts. Nun wird erst von Lübeck und dem Matjes geschwärmt. Wir erfahren allerlei über die dortige „Schiffergsellschaft“ und den Oberkellner Kubitz. Im folgenden Kapitel aber werden wir ausführlich über Maximilian I. informiert. Weiß der Teufel warum.
So geht es durch das ganze Buch. Hat Venedig etwas mit deutscher Verfeinerung zu tun? Nach München kommen Jesuiten, aber dort ist auch der Viktualienmarkt. Irgendwo hat Hutten was Löbliches über die Bürger gesagt, es steht in einer Pirckheimer-Biographie. Von P. wird breit berichtet . Dann Lobendes über einen heutigen Alexander Wiesenegg. Dann kommt z.B. ein „Denkste!“ Denn hier ist einer nicht nur gelehrt, sondern auch volkstümlich.
Auf den Seiten 514 bis 539 wird von Martin Opitz erzählt, weil der sich für die deutsche Sprache interessierte, was ja allerhand mit der Küche zu tun hat, auf die Verf. nun mit einem leichten Schwenk über ein Friedensfest in Hamburg 1650 wieder eingeht. An dem konnte Opitz nicht mehr teilnehmen, denn er war schon 1639 in Danzig gestorben. Aber in Hamburg gab es das Kaffeehaus mit Zeitung, und Hamburg wurde „zum Zentrum des Zeitungswesens hierzulande“, zwar erst nach 1945, doch 1695 hatte Kaspar Stieler schon „das Buch ‚Zeitungen Lust und Nutz’“(natürlich „Zeitungs L.u.N.“) geschrieben, und darin Hamburg erwähnt. Damit ist Verf. bei der bürgerlichen Gesellschaft, der Zivilgesellschaft, in der die „Wirtschaftsbürger und die Bildungsbürger“ sich zusammenfinden, also die Börsianer und die Oberstudienräte, und an „den politischen Geschäften“ teilnehmen (S. 543), nachdem sie „sich durch Zeitungen kundig“ gemacht haben. So hängt alles mit allem zusammen, und Hans Castorp, der ausführlich behandelt wird, lächelt fein und trinkt sein Glas Port. Denn „wie der europäische Humanismus, so sucht auch die europäische Kochkunst immer wieder nach der Würde des Einzelnen“ (S. 547). Und nachdem er noch dies und das berührt hat, nämlich z:B. wie „der preußische Staat …unter dem großen Friedrich buchstäblich durch“knallte(S.610), was gewiß daran lag, daß in den „großen Augen“ auf dem Bild Friedrichs von Ziesenis „ein gewisser Irrsinn“ „funkelt“ (S. 620), wendet sich Seitz nach Weimar.
In dem Kapitel „Auf halbem Wege“ heißt der erste Abschnitt „Caroline in Weimar“ (feine Anspielung auf „Lotte in Weimar“). Es beginnt auf S. 625. Nach 20 Seiten wird Caroline zum ersten Mal erwähnt. Es ist Caroline Jagemann, die Schauspielerin und Sängerin, die zur Mätresse Carl Augusts wurde. Beide waren „cool“ , was die Sache natürlich erklärt, zumal man schon vorher von Goethe, der auch erwähnt wird, hört, daß er „gewisse geistige Positionen“ „überarbeitete“ und „sie wieder nach vorn“ stellte, wobei er sich „nicht so leicht in eine bestimmte Schublade stecken“ ließ (S.639).
Dann kommt noch Bismarck, der einigermaßen ‚wegkommt’, und die „Bürgerliche Gesellschaft“, in der es darauf ankommt, „den Spieltrieb nicht länger auf Krieg und Zerstörung“ zu richten, sondern auf die „drei humanen Grundkräfte der Geschichte: Wirtschaft, Politik, Kultur- auf die Verfeinerung des Angenehmen , Schönen und Menschlichen: Essen und Trinken, Kleidung und Wohnung, Liebe und Freundschaft und dergleichen“(S .700). Mit ‚dergleichen’ meint Seitz sicher nicht den Ersten Weltkrieg, auf den er kurz zu Anfang von „Neue Sachlichkeit und böser Zauber“ eingeht. Er meint ganz gewiß damit nicht „Adolf Hitler, den Vorsitzenden der Nazis“, den die Deutschen übrigens für „einen unbedeutenden, lächerlichen Schreihals“ hielten (S.716 f.), der 1929 2,6 % der Stimmen bei der Reichstagswahl bekam, wie Seitz sagt , und im März 1933 43 %, wie Seitz nicht sagt, nachdem der ‚Vorsitzende’ von dem Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg, für den es z.B. in Münster bis heute einen großen Platz gibt, zum Reichskanzler ernannt worden war. In 12 und 10 Zeilen faßt Seitz die Ereignisse unter dem ‚Vorsitzenden’ Hitler zusammen: „Was bleibt, ist die Pflicht, sich daran zu erinnern“ (S. 719). Sagen wir bei einem angenehmen, leichten Mahl und bei einem leichten Rheinwein .
So sehen heute gute Bücher aus guten Verlagen aus, die von guten Buchhandlungen durch belesene Buchhändlerinnen empfohlen werden,nachdem sie die lobenden „Pressestimmen“ gelesen haben. Es ist das, was die Esser und Trinker gern hören. Sie essen und trinken und ‚genügen der Pflicht, sich zu erinnern’.

Die Polizei

Morgens kommen die Polizisten. Einer von ihnen hilft einem alten Mütterchen und einem kleinen Mädchen über die Straße. Die anderen sitzen im Warmen und erzählen sich von dem, was sie am Abend zuvor gemacht haben. Auch bearbeiten sie zwei Fälle von Zerstörung im Ort. Außerdem ist noch bei einem Geschäft eine Scheibe eingeschlagen worden.
Das wird alles auf Blättern, die dafür gemacht sind, eingetragen.
Dann sagen zwei, sie wollten jetzt einmal nach dem Rechten sehen. Und sie ziehen sich Handschuhe an, damit sie nicht so sehr frieren. Überall im Ort sind Kreisverkehre eingerichtet. Das finden die Polzisten gut, denn es erleichtert ihnen die Arbeit. Die Autos fahren in den Kreisverkehr, ohne sich um andere Autofahrer zu kümmern. Die jungen Leute an den Lenkrädern wollen zeigen, daß sie noch eher in den Kreisverkehr hineinkommen können als ein anderer, der an der nächsten Einfahrt wartet. Ein Junge sagt es den beiden Polizisten.
Die gucken auf den Kreisverkehr. Sie sagen, es müsse jeder, der in den Kreisverkehr hineinfahre, sehen, ob ein anderer auch hineinfahren will oder schon im Kreisverkehr drin ist.
Wenn das nicht beachtet werde und sie es sähen, würden sie einschreiten.
Dann unterhalten sie sich über ihren schlechten Lohn. Dennoch helfen sie einem alten Mütterchen und einem kleinen Mädchen über die Straße.
Gegen Abend fahren sie nach Hause. Nachts können die schlimmen Jungen alles kaputtmachen. Das tun sie auch. Am nächsten Morgen schreiben die Polizisten alles auf.
So hat jeder etwas zu tun.

Deutsche Welten

„Deine Wohnwelt“ steht groß am Haus, natürlich wird man geduzt, wenn man sich darauf einläßt, denn alle tun das. In Deiner Wohnwelt gibt’s „Wohnideen“, und die sehen so aus:
Ca 1000 Wohngarnituren sind ausgestellt, und fast alle haben einen Dicksessel für den achtundzwanzig- bis zweiunddreißigjährigen Hausherrn, mit schwarzem Leder bezogen, in dem er sich’s gut gehen lassen kann. Ein einziges Ensemble versucht es mit Leichtigkeit, alle anderen zeigen, daß man sich was leisten kann.
In solchen Wohngarnituren fühlt sich sicher auch unser früherer Bundespräsident wohl, wenn er auf die anderen Sitzmöbel seine Freunde verteilt, die wir benennen könnten. Wir sind ja eine Nation, die mit dem Islam leben soll. Und Menschen aus diesem Bereich finden auch die „Wohnideen“ mit dem schwarzen Leder sehr schön, weswegen es unverständlich wäre, wenn nicht die „Wohnideen“ zueinander führten.
Heute ist der siebzigste Jahrestag der Wannseekonferenz, bei der die Judenfrage endgültig gelöst wurde, und wonach man es sich in den Wohngarnituren auf einen Schluck gemütlich machte. Schwarz waren auf jeden Fall diejenigen gekleidet, die zeigen wollten, daß sie dazu gehörten, während die SS-Leute bis zu Heydrich im grauen Waffenrock erschienen.
Die dazugehörten, erscheinen heute nicht mehr in schwarz, sondern flott wie die adligen, ja hochadligen Chefs der Bank Sal. Oppenheim, leicht aufgelockert durch einen Maurerpolier, dessen „Wohnideen“ wahrscheinlich aus schwarzem Leder sind.

Von der Demokratie

Es ist absurd, heutzutage für die Demokratie einzutreten. Auch wenn alles andere nicht funktioniert hat. Denn die Demokratie verlangt das Unmögliche: nämlich, daß sich die Mehrzahl der Erwachsenen mit Politik und Verwandtem beschäftigt. Dabei sind 95 % der potentiellen Wähler völlig uninteressiert an ihr, nicht, weil sie Politik für ein schmutziges Geschäft halten, sondern weil es ihnen gleichgültig ist, was politisch beschlossen wird, wenn es sie im Alltag nicht allzusehr stört. Genauso wenig gibt es innerhalb der politischen Klasse eine nennenswerte Anzahl von politischen Köpfen, sondern die Allermeisten wollen nur die Macht, ganz gleich, ob sie klein oder groß ist. So will die große Mehrheit nur den Alltag, ganz gleich ob Strümpfestopfen oder Auto waschen oder high society damit gemeint ist. „One man one vote“ ist völlig sinnlos, weil es allenfalls einige tausend gibt, die das ernst nehmen, die große Mehrheit aber so abstimmt, wie es ihr gerade einfällt oder es ihr gerade gesagt wird oder aber so, wie sie es schon immer gemacht hat. Und die meisten finden es überdies lästig. Daß es je anders werden wird, ist in Amerika, Großbritannien und Frankreich sehr zweifelhaft, in Deutschland und allen anderen Ländern unmöglich.
(Abweichungen davon gibt es nur bei der ersten Wahl nach Revolutionen.)

Die politische Lage in Deutschland ist nach 1945 nicht immer klarer geworden, sondern immer unklarer. Daß wir gerade einen Schlemihl als Bundespräsidenten hatten, ist normal, auch wenn man sich beim nächsten Mal um einen etwas statiöseren bemühen wird; daß wir eine Bundeskanzlerin aus dem Osten haben, ist außerordentlich, aber nur darauf zurückzuführen, daß sonst niemand da war, der es auf der konservativen Seite sein wollte, was natürlich heißt: der es auf der konservativen Seite von vornherein sein wollte.
Ihr Vorgänger hatte es allein darum getan, um hinterher ein bisschen „großes Geld“ machen zu können. Er lobte bspw. Putin als honorigen Demokraten, aber wusste natürlich, daß das Unsinn ist, es kam ihm nur darauf an, über jenen etwas Nettes zu sagen, weil er selbst an Gazprom interessiert war. Das alles und mehr wissen die 5 %, die Demokraten sind, aber sie sagen es nicht, weil auch sie keine Demokraten sind.

Es wird natürlich nicht um die beste Antwort gerungen, sondern um die gewollte Antwort gefeilscht. Wenn einmal jemand da ist, der seine Antwort für die beste hält und bei ihr bleiben will, gibt es gewiß einen, der dessen „Fresse“ nicht mehr sehen will. Viel wichtiger als Demokratie ist sowieso Fußball.

Und Europa?

Lange wird uns noch die Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigen, denen wir aber nicht so viel Zeit, wie nötig wäre, widmen. Denn wir wollen v.a. fun haben. Also Karneval, aber auch partys und Reisen usw., eben, wie man früher sagte, Spaß. Immerhin Griechenland ist in der Klemme, und zwar der Europäer, insbesondere der Deutschen, die die Griechen sehr mögen, aber nur, weil sie in Scharen auf die Inseln und ins Land kommen. Doch sind sie auch in der Klemme des eigenen Volkes, das es wie seine Besucher gemütlich haben will.
Auch Frankreich ist in der Finanzkrise und hat gar keinen Spaß daran. Und Großbritannien, wo die Krise der Finanzen auch die der sogenannten Industrie ist, die es gar nicht mehr gibt und die längst verfallen ist. Denn der Markt ist in Britannien nur das Hin- und Herschieben von Geld, während er in Deutschland noch zum Teil aus Autos besteht, die die Straßen verstopfen. Aber schlechter sieht es in Portugal, Spanien, Italien, Ungarn und Irland aus. Auch wohl in Bulgarien und Rumänien, die aber kaum etwas sagen. Wie auch Serbien und Kosovo und Kroatien und Mazedonien und Bosnien-Herzegowina und Montenegro, die hauptsächlich miteinander zu tun haben. Dann ist da noch Luxemburg, dem es glänzend geht und das so klein ist, daß der Premierminister nachmittags noch allerhand sonstige Aufgaben für Europa übernehmen kann. Die Niederlande, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Polen, Tschechien, die Slowakei und Slowenien, sieht er, sind in mehr oder minder ordentlichen Zuständen, besser als das Balticum mit Litauen und Lettland, während es dem kleinen Estland gut zu gehen scheint. So auch den ganz Kleinen: Zypern, Malta, Liechtenstein, Andorra, San Marino, Monaco. Der Schweiz geht es sehr gut, obwohl oder weil sie nicht zum verfassten Europa gehört. Weniger gut geht es Moldawien und Weißrußland, die kaum zu Europa gehören. Auch die große Ukraine nicht.
Ja, und Belgien lebt von Europa, also von der Kommission, der es am besten geht.
Deutschland ist wichtiger als alle, was schlecht ist, weil niemand von den anderen Deutschland mag. Die meisten haben es mehr oder minder im Krieg kennen gelernt und sie wissen, wie entzückend die Deutschen sein können. Sicher, an ihrer Spitze ist jetzt eine Dame, die aus dem Osten kommt, also noch länger als die Leute im Westen in der Diktatur lebte, ob sie nun wollte oder nicht. Zum Ausgleich gab es einen Präsidenten, der ganz reizend aussah, aber sich wie ein Scherenschleifer überall kleine Vorteile verschafft hatte. Dennoch hielt er, wie das seine Pflicht war, Reden, die sagen, alle müssten anständig bleiben oder werden. So machen es nun alle, wie er es vormachte, und sagen dann, alle müssten anständig sein oder doch werden. Darum geht es mit Europa immer weiter voran.

Und die Welt?

Von der sogenannten Staatengemeinschaft ( - Europa) hören wir wenig bis nichts, obwohl wir ja mit allen Medien verbunden sind. Soweit man dies kann, sollen die vier Kontinente in ihrer Staatenstruktur danach beurteilt werden, wie es um ihre demokratische Struktur dank der Menschenrechte und verwandter politischer Tendenzen steht. (Hilfe durch Wikipedia und den Fischer Weltalmanach 1910)

Asien zeigt sich zuerst mit dem größten Flächenstaat der Erde, der Russischen Föderation, die von Herrn Putin geleitet wird, einem ehemaligen Oberstleutnant des Geheimdienstes im besetzten Deutschland, später Vizebürgermeister von St. Petersburg und dann Präsident oder Ministerpräsident, denn er kann nicht immer Präsident sein. Er regiert autokratisch bis diktatorisch, ist aber gleichwohl, nach unserem früheren Bundeskanzler Schröder, ein in der Wolle gefärbter Demokrat. Russland erstreckt sich von St.Petersburg im Westen bis Wladiwostok im Osten. Die südlich von ihm gelegenen Staaten bis auf die Mongolei, Südkorea, die Republik Taiwan, Malaysia, Singapur, Indonesien und Indien sind mehr oder minder undemokratisch. China vor allem, das noch etwas größer ist als Indien und den Versuch macht, stramme Ideologie und freie Wirtschaft zu verbinden, des „großen Vorsitzenden“ zu gedenken und dennoch individuell zu leben. Indien ist demokratisch verfasst, hat aber auch ständig Grenzstreitigkeiten, innere Unruhen und muß sich einer Vergangenheit erwehren, in der die Fürsten tonangebend waren. Vietnam, Kambodscha und Laos, seit kurzem auch Nepal sind bis in die Gegenwart kommunistische Staaten, mal ein bisschen freier, mal strikter, Bangladesch ist ein Elendsstaat, der sich von Pakistan löste, das hin- und hergerüttelt wird. Myanmar, das frühere Birma, wird anscheinend gerade ein bisschen liberaler, Thailand ist einigermaßen demokratisch, die Philippinen sind vor allem korrupt. In dem kleinen Timor Leste versucht man Demokratie, in Sri Lanka besiegte man die Tamilen, in den kleinen Staaten Brunei und Bhutan ist man auf altmodische Weise freundlich und autokratisch, in Japan ist die Regierung demokratisch, aber vor allem ist man, wie die Atomkatastrophe zeigt, kapitalistisch. Am grässlichsten ist es in der Demokratischen Volksrepublik (Nord-) Korea, wo das Volk nichts zu sagen hat und hungert, aber wenn ein Mensch, der „lieber Führer“ genannt werden muß, stirbt, müssen alle Einwohner weinen, wenn sie nicht verurteilt werden wollen. Ernähren konnte sie der „liebe Führer“ nicht. Die Malediven ernähren sich von Touristen. An Pakistan grenzt Afghanistan, das wir am besten kennen, weil es nie zur Ruhe kommt und weil es die Taliban nicht los wird, was aber die USA und ihre Verbündeten hoffen. Im Norden liegt das riesige Kasachstan, dann Usbekistan, Kirgistan, Turkmenistan und Tadschikistan, die sich von der sterbenden Sowjetunion lösten, aber deren Menschen noch genauso behandelt werden wie damals. Dann kommt der Iran, der sich über die Herrschaft schiitischer Geistlicher und ihres Anhangs freuen muß. Im Norden von I. liegen Aserbeidschan, Armenien und Georgien. Letzteres wollte Krieg führen gegen Russland, was misslang. A. und A. halten sich für demokratischer als die –stane, was nicht bedeutet, sie seien es. Saudi-Arabien, Oman, Kuwait, Bahrain und die Emirate sind monarchische Gebilde. Im Irak meinten die USA eingreifen zu müssen. Im Jemen vertrieb das Volk den Machthaber Saleh. Jordanien, Königreich, hält sich einigermaßen, Libanon, Republik, tut dies auch. Syrien zeigt, daß sein Präsident Assad kein biederer Augenarzt, sondern brutal ist, die Türkei möchte gern zur EU, ist aber ein mehr und mehr muslimischer Staat. Israel ist da, weil die deutschen Nazis die Juden ausrotten wollten und hat jetzt wieder mit einer Umgebung zu tun, die es nicht wünscht. Soweit Asien.

(Australien und Ozeanien) Australien und Neuseeland sind „alte“ Demokratien. Australien ist der Protektor der kleinen Südseestaaten Marshall-Inseln, Palau, Papua-Neuguinea, Nauru, Salomonen, Tuvalu, Vanuatu, Samoa, Tonga und Fidschi . Dazu gibt es noch etliche aus der Kolonialzeit zu Frankreich, Großbritannien und den USA gehörende Inseln. Unter den selbständigen ist Nauru die kleinste Republik: 10 000 Einwohner, die reich wurden durch Phosphat, das in der Mitte der Insel abgebaut wurde, dann versiegte, dann noch mal für einige Jahrzehnte reichen sollte, die Einwohner also wieder wohlhabender machte, die aber v.a., ob arm, ob weniger arm, dahinleben.

(Afrika)Für nahezu alle afrikanischen Staaten gilt, daß Menschenrechtsverletzungen in großer Anzahl vorkommen, daß ihre Gefängnisse überfüllt sind, daß Folterungen und Vergewaltigungen zum Alltag gehören, daß sie korrupt sind, daß in ihnen Kinderarbeit herrscht und daß es Kindersoldaten gibt, daß immer wieder Unruhen zwischen ethnischen Gruppen vorkommen, die bis zum Völkermord gehen, daß die Aidsrate hoch ist, daß sie von demokratisch völlig uninteressierten Präsidenten regiert werden, daß Wahlbetrug stattfindet, daß es Militärdiktaturen gibt, daß das Justizsystem sehr unbefriedigend ist und daß es Schwierigkeiten macht, den bisherigen Herrschenden nach Wahlen abzuschütteln, daß es verbreitet keine Pressefreiheit gibt, kurz, daß von demokratischen Systemen kaum gesprochen werden kann.
Im Norden Afrikas, nämlich in Tunesien, Ägypten und Libyen haben inzwischen Revolutionen stattgefunden, von denen aber noch nicht klar ist, zu welchen Ergebnissen sie führen werden.
In Liberia gab es einen vierzehnjährigen Bürgerkrieg. In Ruanda einen Holocaust mit 800 000 Toten, von dem auch Burundi betroffen war. Die Demokratische Republik Kongo hatte schon Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts eine barbarische Kolonialherrschaft unter dem belgischen König Leopold II. und beherrscht mit ihrer Zentralregierung nicht annähernd alle Teile des Landes. Somalia gilt als „gescheiterter Staat“. Angola ist ein Staat mit großem wirtschaftlichen Reichtum, ohne daß davon die Bevölkerung profitiert. Es gab und gibt Hunger und Nahrungsmittelknappheit durch Dürre, Überflutungen u.ä. Gewaltkriminalität ist verbreitet.
Südafrika, die Komoren und die Seychellen sind allenfalls mit europäischen Verhältnissen zu vergleichen.

(Amerika) Wir sprechen von Amerika meist als von den Vereinigten Staaten von Amerika, weniger von dem Kontinent, um den es hier geht. Die USA sind der größte und konsolidierteste Staat dieses Kontinents. Sie haben zwar auch ständige Auseinandersetzungen zwischen Ethnien oder zwischen politischen Gruppen, die aber meist geregelt ausgetragen werden. Höhepunkt der Konflikte sind die Wahlen. Demokratische Struktur, die aber gerade in der letzten Zeit überlagert wird durch wirtschaftlich-finanzielle Interessen. Einfluß von Demagogen. Starke Unterschiede zwischen „kleinen Leuten“ und Reichen. Das im Norden liegende britische Dominion Kanada ist fast genauso groß wie die USA, hat aber wesentlich weniger Einwohner,was v.a. an der geringen Besiedlung des Nordens liegt. Hauptauseinandersetzungen zwischen englisch- und französischsprachigen Volksgruppen, zu denen noch Inuit kommen. Im ganzen aber demokratische Struktur. Südlich der USA zunächst das große Mexiko, das aber unter dem bestimmenden Einfluß von Drogenkartellen steht mit allen Erscheinungen, die dazu gehören ( Prostitution bis zur Kinderp., Einfluß auf die politischen Strukturen wie Wahlbetrug u.ä.).In Mittelamerika z.T. Gewaltkriminalität und Bandenkriminalität, Einfluß von Drogen, Kinderprostitution, Armut, Menschenrechtsverletzungen, Überfüllung der Gefängnisse, Morde, Folter, Vergewaltigungen, Entführungen, öffentliche Unsicherheit. Dem widersetzen sich linke politische Gruppen, so in El Salvador und Nicaragua, die aber, an die Macht gekommen, ihre politischen Intentionen nicht durchsetzen. Am meisten geschieht das noch in Kuba, wo aber andere Elemente fehlen (Beschneidung der bürgerlichen und politischen Rechte, harte Haftbedingungen, keine Häusererhaltung, keine Möglichkeit des Kaufs von Autos etc). Aber in Kuba sind keine unterernährten Kinder. Überdies Auswirkungen von Hurrikanen. In Jamaika Zusammenbruch des Finanzsystems, große Arbeitslosigkeit, hohe Kriminalitätsrate, Korruption. In der Dominikanischen Republik Wahlmanipulationen . Auch hier schwere Hurrikane. Haiti war Ende des 18 Jahrhunderts der reichste Staat Lateinamerikas und gehört heute zu den am wenigsten entwickelten. Zahlte 90 Millionen Goldfrancs an Frankreich. Von 1964 bis 1986 Herrschaft der Familie Duvalier. 2010 starke Erdbeben v.a. in den südlichen Teilen Haitis. „Gescheiterter Staat“. Höchste Aidsrate Amerikas. In Panama dank der Übertragung der Hoheit in der Panamakanalzone Konsolidierung.
In den Staaten Südamerikas unterschiedliche Entwicklung. In Kolumbien seit Jahrzehnten bewaffnete Konflikte mit der Drogenmafia. Weltweit das Land mit den meisten Entführungen und politischen Morden. Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft und eines starken Rechtsstaates scheint nicht möglich. In Venezuela hingegen seit 1998 durch Hugo Chavez Kampf gegen die Korruption und Versuch der Schaffung direkter Demokratie. Aber Venezuela gilt als das korrupteste Land Amerikas. Vorwurf der Schwächung der Demokratie unter Chavez. Nach Amnesty International Drangsalierungen und Einschüchterungen von Regierungskritikern weit verbreitet. In der Amtszeit von Chavez hat sich allgemeine Kriminalität und Gewalt weiter ausgebreitet. In Guyana stark ansteigende Gewaltkriminalität. Im unmittelbar benachbarten Suriname wird nach der Militärdiktatur 1987 die Demokratie wiederhergestellt. Der IWF gab Suriname 2011 als einem von wenigen Ländern in der Welt eine positive Beschreibung. Ecuador wird als Staat mit hoher politischer und territorialer Instabilität beschrieben. 2008 20. Verfassung in der 178jährigen Geschichte des Landes. Zweitärmstes Land Südamerikas. In Peru ist die linksgerichtete Guerilla-Organisation „Leuchtender Pfeil“ mitbestimmend. Autokratische Präsidentschaft Fujimoris. 2008 erhebliche Proteste und Ausschreitungen. Brasilien ist flächen- und bevölkerungsmäßig der fünftgrößte Staat der Erde.2003 bis 2011 war Inácio Lula da Silva Präsident, seitdem ist es Diana Rouseff. Politisch instabile Lage wegen vieler kleiner Parteien und Korruption. Wirtschaftliche Stabilisierung, so daß die brasilianische Wirtschaft heute die stärkste Südamerikas ist. 2008 und 2009 Überschwemmungen und Erdrutsche. In Bolivien siegte 2005 der Kandidat der Sozialisten. Gefährdung der territorialen Integrität. In Paraguay endete die über 60 Jahre währende Regierung der Colorado-Partei. Die neue Regierung sah die Bekämpfung der Armut und der Korruption als die wichtigsten Aufgaben, gegen die sich der Widerstand der Colorados richtete. Uruguay ist ein alter Sozialstaat nach europäischem Vorbild . Ende der achtziger Jahre kam in Argentinien die peronistische Partei wieder an die Macht. 2003 Präsidentschaft des linken Peronisten Kirchner, der eine wirtschaftliche Krise überwinden konnte. Anschließend wird Kirchners Frau zur Präsidentin gewählt. Fortsetzung der Prozesse gegen die Militärs während der Diktatur. Korruptionsfälle in den Streitkräften. Schwerste Dürreperiode seit Jahrzehnten. In Chile nach dem Ende der Pinochet-Diktatur seit 2005 wieder starke Spannungen , Menschenrechtsverletzungen und Ausschreitungen. Überfüllte Gefängnisse. Aufarbeitung der Militärdiktatur. Überschwemmungen und sintflutähnliche Regengüsse. Die kleinen karibischen Inselstaaten heißen von Nord nach Süd Antigua und Barbuda, St. Kitts und Nevis, Dominica, St. Lucia, Barbados, St. Vincent und die Grenadinen, Grenada und Trinidad und Tobago. Außerdem gibt es eine Reihe von Inseln, die zu den USA, England, Frankreich, den Niederlanden und Venezuela gehören. Die Inselstaaten sind allesamt demokratisch verfasst. St, Kitts und Nevis hatte eine hohe Mordrate zu verzeichnen. In Dominica gab es Arbeitslosigkeit. Hurrikane wirkten sich aus.
In Grenada in den achtziger Jahren politische Unruhen. In dem nach Fläche und Einwohnern größten Inselstaat Trinidad und Tobago waren in den neunziger Jahren muslimische Rebellengruppen am Werk, 2011 kam es zum Ausnahmezustand.

Man sieht, es ist keine Rede davon, daß in der Welt das humanistische und politische Ideal der Demokratie sich durchsetzt. Es ist das Modell des öffentlichen Lebens in den USA, Gro0britannien, Frankreich und darum in Deutschland. Doch ist sehr die Frage, ob es in diesen Ländern tägliche Realität ist. In Deutschland sicher nicht (s. später). In den anderen Kontinenten bis auf Nordamerika und Kanada, Australien und Neuseeland nicht von ferne.
Daß unsere Staatsmänner und -frauen auf die Reise gehen, um Menschenrechtsfragen in den Zielländern zu besprechen, ist eine der vielen politischen Schwindeleien. Demokratie meint v.a. Kapitalismus, manchmal in feiner, meist in grober Form. Sozialismus ist im besten Falle Bürokratie, im schlimmsten brutale Albernheit. „Economy, stupid!“ ist der wichtigste Satz der Welt. Bei ihm geht es um den ärmsten Teil der Sprache: nämlich um Zahlen.

Und Deutschland ?

Über Deutschland ließe sich vieles sagen und erzählen, doch wollen wir uns hier mit der Frage begnügen, wie es mit der Polizei und wie es mit der Regierung steht.
„Der Spiegel“ hat in Nummer 8 des Jahrgangs 2012 über die drei Leute berichtet, die jetzt „Zwickauer Zelle“ benannt werden: zwei junge Männer, eine etwas ältere Frau, die sich mal mit dem einen, mal mit dem anderen zusammentat. Seit 1998 bestand die Tätigkeit der jungen Männer vor allem darin, 10 Leute zu erschießen, die ihnen und anderen nichts getan hatten. Außerdem wurden von ihnen 23 Menschen lebensgefährlich verletzt. Die beiden Mörder erschießen sich am 4. November 2011 selbst. Sie hatten bis dahin ca 710 432 € durch Raubüberfälle auf Sparkassen erbeutet. Das ist ja alles schon für sich haarsträubend. Aber daß in 13 Jahren weder die Polizei noch irgendeine andere Behörde ermittelt hat, was es mit diesen Morden und Raubüberfällen für eine Bewandtnis habe, dürfte selbst in Kirgistan oder in Äquatorial-Guinea mit Erstaunen registriert werden. Hat die Polizei, die Kinder und alte Mütterchen über die Straße führt und die sich ständig Gedanken über ihre zu geringe Bezahlung macht, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, gar keine Zeit mehr, der offenen Gewaltkriminalität nachzugehen oder fällt ihr dazu gar nichts mehr ein oder…. weiß der Teufel, was es noch für Möglichkeiten gibt, die die Polizei davon abhält, zehn Morde, davon neun an Türkischstämmigen, innerhalb von 13 Jahren aufzuklären. Und was haben Vater und Mutter Mundlos und Böhnhardt für Gesellen auferzogen, ohne jemals etwas davon zu merken, daß diese Gesellen zu Gewalttaten ein sehr lockeres Verhältnis haben, jedenfalls dann, wenn durch die Opfer ihr Deutschlandbild tangiert wird ?
Währenddessen sind vier Bundespräsidenten und drei Bundeskanzler mit ihren zentralen Aufgaben beschäftigt und bleiben ganz ruhig. Sie blieben auch ganz ruhig, als ein Schwindler, der zum höheren Adel gehörte, nicht nur Generalsekretär der CSU wurde, sondern bald danach auch Bundeswirtschaftsminister und Bundesverteidigungsminister. Viele sagten sogar, das sei, obwohl ein Schwindler, der richtige Mann. Und erst am Ende, als er gar nicht mehr zu halten war, sagte seine Bundeskanzlerin, sie habe ihn ja nicht zum Minister gemacht, weil er Doktor sei, sondern… Und ein bayrischer Ministerpräsident hatte sich in einer Rede die Überraschung für seine Hörer aufgespart, daß dieser, sobald er es wolle und könne, wieder etwas werden solle. Seine Hörer fanden, daß das das Beste sei, was der Ministerpräsident zu sagen hatte.
Neuestens hatten wir einen Bundespräsidenten, der „Schnäppchenkönig“ genannt wurde und ganz stolz war, weil er es zum Bundespräsidenten gebracht hatte, aber nach neun Wochen der Umstrittenheit doch endlich gehen musste, was ihn und seine Frau verletzte, wie er sagte. Denn man kann, wenn man es übt, in Deutschland Schnäppchenkönig und Bundespräsident gleichzeitig sein. Aber weil man z.T. in diesem Lande, zum Teil in anderen, sagen wir in Äquatorial-Guinea, so ete petete ist, musste er dann doch zurücktreten Im Westen war es offenbar schwer, jemanden als neuen Bundespräsidenten zu finden. So musste man auf die frühere DDR ausweichen und dort einen Bundespräsidenten ausgucken, nicht den tapfersten Gegner des früheren Regimes, aber den angenehmsten. Der passt gut und allen und passt auch zu der Bundeskanzlerin. Denn die ist auch in der früheren DDR ohne Qualen groß geworden.
Zwar war sie zunächst gegen den Kandidaten, aber das hing wieder mit feinen politischen Überlegungen im Westen zusammen.




Nummer 29 (November 2011) s. Archiv
INHALT: VON DER LITERATUR: Lyrik der Romantik kommentiert 1. Teil. VOM JOURNALISMUS: Altlasten des Journalismus (I):Prinzipielles (Internet oder Medien; Journalistendefekt; Journalistische Ethik; Die Zeit als Zeitung). Gängige Verfahren (Die Seele vom Jeschäft; Fernsehen als horror vacui; Spaßvogel und Publikum; Fernsehmenschen). Das „Zentrale“ (Wichtige Information; Tagesschau). Das Geschwätz (Ein ZDF-Mann im Taumel; Ein ungemein kluger Mann).- Was Prof. Pinker im „Spiegel“ sagt


Die Nummern 1 – 29 s. Archiv

S. Register der Nummern 1 – 30 „Zur Lage der Nation““ Hrsg. von Helmut Arntzen




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